Schleier des Herzens (German Edition)
würde dein Vater dich aufnehmen, aber das einzige Interesse, das deine Leute noch an dir hätten, gleicht dem für ein Kalb mit zwei Köpfen. Man würde über dich reden, aber bald nicht mehr mit dir. Dein Vater würde dich schamhaft verstecken, und du würdest ein Leben zwischen Korsett und Stickrahmen führen. Dein Leben in Kastilien ist vorbei, Beatriz. Es wird Zeit für einen Neubeginn. Auch für einen neuen Namen. Lies den Koran, Beatriz, nimm den Islam, entscheide dich für einen arabischen Namen und erzieh dein Kind im Sinne Allahs. Dein Stern hier ist im Steigen. In Kastilien bist du längst begraben.«
Beatriz mochte nicht hinhören, aber in stillen Stunden musste sie vor sich selbst zugeben, dass Fatima nicht Unrecht hatte. Es gab keinen gesellschaftlichen Rang an einem spanischen Hof, den die ehemalige Konkubine eines Mauren einnehmen konnte. Widerstrebend intensivierte sie ihre Leseübungen. Wenn es nur nicht Mammar wäre ... wenn sie in einem anderen Harem gelandet wäre ... vielleicht dem ihres Entführers ... Sie versuchte, das Bild zu verdrängen, aber immer wieder schoben sich dunkle, sprühende Augen, mal mutwillig, mal mitleidig und sanft, vor das Horrorszenario einer Ehe mit Al Khadiz.
Amir ibn Abdallah hatte inzwischen andere Sorgen als die Suche nach einem Mädchen. Sein Vater war schwer erkrankt; es sah aus, als würde die Regierungsverantwortungbald auf seinen Schultern lasten. Dazu gab es immer wieder Unruhen an der Grenze mit Kastilien. Amir führte seine Streitmacht gern selbst, aber die ständigen Wechsel zwischen der Front und den Regierungsgeschäften in Granada zermürbten ihn. Immerhin hatte ihm Allah in Mammar al Khadiz einen tüchtigen Wesir zur Seite gestellt. Sowohl Amir als auch sein Vater vertrauten dem alten Mann völlig, der die Regierungsgeschäfte klug und überaus geschickt führte. Auch das Volk mochte den ersten Berater des Herrscherhauses, während es der Politik des Emirs mitunter skeptisch gegenüber stand. Besonders die Menschen in den Ostprovinzen forderten ein härteres Vorgehen gegen Kastilien, wohingegen der Emir auf Friedensverhandlungen setzte. Der Wesir hatte sich in dieser Frage niemals festgelegt. Er fügte sich den Wünschen des Herrschers, hielt sich mit eigenen Meinungen jedoch zurück.
Umso wichtiger war Amirs ständige Präsenz in der Gegend von Al Mariya. Trotz allem hatte der Prinz die kastilianische Schönheit nicht vergessen, die er vor wenigen Monden nach Granada verpflanzt hatte. Nach wie vor suchte er Beatriz, doch der Käufer blieb verschollen. Niemand hatte die Reise einer Sayyida in die Ostprovinzen beobachtet, und auch diskrete Nachforschungen in den Harems granadinischer Würdenträger hatten nichts ergeben. Niemand an der Levanteküste besaß eine goldhaarige kastilianische Sklavin, zumindest keine, die er gerade erst erworben hatte.
Beatriz Aguirre war wie vom Erdboden verschluckt, und in seinen dunkelsten Stunden befürchtete Amir das Schlimmste. Sie war so stolz und so verzweifelt gewesen. Womöglich hatte sie ihrem Leben ja selbst ein Ende gesetzt.
Beatriz hasste jeden Augenblick ihrer Schwangerschaft, obwohl der gesamte Harem sie umwarb und umsorgte. Sie weinte um ihre schlanken Fesseln, die jetzt geschwollen und plump waren, trauerte ihrer biegsamen Taille nach und ihrem flachen Bauch. Sie verabscheute ihre trägen Bewegungen – war sie wirklich noch vor wenigen Monaten mit fliegendem Haar über sonnendurchflutete Wege galoppiert?
Und sie hasste dieses kleine Wesen, das sich ungerufen in ihren Leib geschlichen hatte und nun ihr ganzes Dasein bestimmte. Niemand mehr interessierte sich für Beatriz als Mensch und als Frau. Sie war nur noch die Mutter dieses kostbaren Kleinods, das da in ihrem Bauch heranwuchs.
Um sich die Zeit zu vertreiben, studierte Beatriz die arabische Schrift und übte sich im Lautespiel. Sie hatte immer eine musikalische Begabung gehabt. Im Gegensatz zum Lesen, dem sie nie viel abgewinnen konnte, erfreute sie das Instrument. Dazu fanden sich hier weitaus kundigere Lehrer als im Haus ihres Vaters in Kastilien. Die Musikerinnen im Harem hatten ihre Kunst in vielen Jahren der Übung vervollkommnet, bevor man sie als Harfenistinnen oder Lautenspielerinnen teuer verkaufte. Bereitwillig gaben sie ihre Kenntnisse weiter – und Zeit zum Üben gab es reichlich.
»Du bist bald gut genug, um bei Hofe zu spielen!«, sagte Darja, ihre liebste Lehrerin. »Lass mich jetzt hören, wie deine Stimme klingt. Vielleicht
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