Schleier des Herzens (German Edition)
verlässt, sondern es brennt noch quälender. Sie lacht über ihn, trägt den Kopf hoch und hat den Ausdruck des Triumphes in den Augen, aber dahinter schwelen Wut und Hass auf alles, was mir heilig ist. Auch sie selbst ist nicht glücklich, Charis. Aber ich kann ihr doch nicht erlauben, alles um sich herum zu zerstören, nur weil sie selbst verletzt worden ist!«
Charis nickte. »Wir werden sehen.«
Langsam zog sie das schwarze Tuch zur Seite, unter dem sie die Kristallkugel vor neugierigen Blicken verbarg.
»Beschreib mir das Mädchen. Denk an sie!«, forderte sie ihre Kundin auf.
Soraya beschwor Beatriz’ rotgoldenes Haar herauf, ihre meerblauen Augen, ihre schwellenden Brüste und schlanken Fesseln. Schließlich auch ihr wildes, rücksichtsloses Wesen, ihre schnell zu entflammende Wut und ihre Sinnlichkeit.
Die Zauberin lauschte mit gerunzelter Stirn. Mit voller Konzentration studierte sie die Bilder in der schimmernden Kugel, in der Soraya selbst nicht mehr sah als ein paar tanzende Schatten.
»Ja ... o ja ...« Charis’ Stimme wurde weich und dunkel, wie immer, wenn sie die Kugel las. »Das ist sie ... sie ist schön, sehr, sehr schön ... bestimmt, einen Mann zu einemständigen Bewohner der Gestade der Lüste zu erhöhen. Nein, Soraya ... ein baldiger Tod ist ihr nicht bestimmt. Aber auch keine Ehe mit deinem Gatten. Da kannst du beruhigt sein ... obwohl ... viel Leid kommt über dich und dein Haus durch dieses Mädchen ... Dein Herr ... nun, das liegt hinter den Schleiern der Zukunft verborgen. Lassen wir es vorerst dort, es wird sich früh genug enthüllen.«
Charis schwieg und schien zu träumen. Sie brauchte immer ein paar Minuten der Trance, bevor sie aus der Welt der Kristallkugel zurück in die Wirklichkeit fand. Soraya wartete ungeduldig. Sie schwankte zwischen der Erleichterung, den Mord nun doch nicht ausführen zu müssen, und der Verzweiflung über ihre offenbar aussichtslose Lage.
»Du wirst mir also nicht helfen? Ich muss sie weiter in meinem Harem ertragen?«, fragte sie schließlich mit erstickter Stimme.
Charis schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, meine Tochter. Verzeih mir, aber es ist uns nicht bestimmt, diesem Mädchen den Weg ins Paradies zu ebnen. Der Platz für sie ist noch nicht bereitet.
Allerdings ...« Die Zauberin lächelte listig. »... gibt es noch andere Paradiese als den Garten Allahs. Und die mögen das Mädchen sogar ungeduldig erwarten. Nennt man nicht auch den Garten der Alhambra den ›Garten Edens‹?«
»Sprich nicht in Rätseln, Gharis ...«, bat Soraya verstimmt.
Charis nahm tröstend und fast entschuldigend ihre Hand.
»Höre, Umm Achmed, du sagst, diese Beatriz sei vor etwa zehn Monaten aus Kastilien geraubt worden. Weißt du, von wem?«, fragte die Zauberin.
Soraya zuckte die Schultern. »Von irgendeinem Stoßtrupp. Sie hat es den anderen Frauen erzählt, aber ich habe nicht genau hingehört. Es sind doch immer die gleichen Geschichten. Ein Ghazu – als Antwort auf eine Cabalgada. Irgendwie ging es um ein Pferd ...«
Charis nickte wissend. »Ja. Ja, das passt alles. Kein Wunder, dass der Friede in deinem Haus gestört ist. Ein unglücklicher Strang des Schicksals hat das Mädchen von dem Weg abgebracht, der ihm bestimmt war. Soraya, dieser Schrecken deines Harems muss das Mädchen sein, das der Emir seit Monaten sucht! Hast du nichts davon gehört?«
Soraya schüttelte den Kopf. Manchmal schien Charis zu vergessen, wie abgeschieden man im Harem lebte. Die Zauberin lächelte ihr zu und begann zu erzählen.
»Nun, Amir ibn Abdallah, unser Emir, damals hoch Prinz, führte jenen Stoßtrupp an, der das Mädchen erbeutete. Dein Sohn leitet den Marstall, hat er dir nie von dem Hengst Touhami erzählt? Ein Lieblingspferd des Emir, das Licht seines Lebens. Obendrein unermesslich wertvoll. Der Verlobte dieser Beatriz machte den Fehler, das Pferd zu rauben. Amir ibn Abdallah nahm ihm dafür sein Leben – und verliebte sich unsterblich in das Mädchen, das ihm versprochen war ...«
Aufgewühlt lauschte Soraya dem Bericht der Hexe. Anscheinend hatte der Emir Boten in die entlegensten Teile des Reiches gesandt, um Beatriz Aguirre wieder zu finden. Nur direkt vor seinen Augen, im Harem des Wesirs, vermutete sie natürlich keiner.
»Das heißt ... man brauchte dem Emir nur einen Wink zu geben ...«, meinte Soraya schließlich mit blitzenden Augen. »Aber was wird er mit Mammar machen, wenn er entdeckt, dass er das Mädchen vor ihm versteckt gehalten
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