Schleier des Herzens (German Edition)
Qualität du nie geträumt hättest. Kannst du dir eine Botschaft merken? Du sprichst doch unsere Sprache, nicht wahr?«
Der Sklave bejahte. »Ich wurde mit sechs Jahren nach Granada gebracht.« Noch jetzt war sein Ausdruck kindlich. Soraya fragte sich, wie alt er war, bei Eunuchen zeigte sich eine Schätzung immer schwierig, aber dieser Junge mochte nicht mehr als achtzehn, vielleicht nur sechzehn Lenze zählen.
»Gut. Dann begibst du dich jetzt in die Alhambra, in den Palast des Emirs. Und du verlangst, den Emir. zu sprechen. Lass dich nicht abweisen, sag den Wachen, du hättest die Botschaft, nach der sich ihr Herr seit Monaten verzehrt. Er würde zweifellos jeden vierteilen lassen, der ihre Überbringung verzögert.«
Mustafa blickte fragend und verängstigt drein.
»Keine Angst, du tust nichts Verbotenes«, beruhigte ihn Soraya. »Lass ruhig zu, dass die Wachen dich durchsuchen, aber bestehe darauf, den Emir zu sprechen. Auf die Dauer werden sie dich durchlassen, das verspreche ich dir.« Der Junge nickte.
»Wenn du dann vor dem Emir stehst, übermittelst duihm folgende Botschaft: Die Frau, die er sucht, vervollkommnet ihr Lautespiel im Harem des Wesirs.«
»Das ist alles?« fragte Mustafa. »Mehr nicht? Was ist, wenn er Fragen stellt, Herrin?«
»Dann antwortest du ihm höflich und sagst alles, was du weißt.«
»Aber ich weiß doch nichts ...« Der Junge rieb unsicher sein Ohrläppchen.
Soraya lächelte über die kindliche Geste.
»Glaub mir, mein Junge, damit ist alles gesagt. Der Emir wird dich mit Dank überschütten, wenn sich die Wahrheit der Botschaft herausstellt.«
»Aber er wird wissen wollen, wer sie schickt.«
»Wie gesagt, sprich die Wahrheit ... Und nun viel Glück, Mustafa. Möge Allah deinen Weg von nun an leichter gestalten, als er bisher verlaufen ist.« Mit einer Handbewegung und einem Klopfen wies Soraya ihre Träger an, sich in Bewegung zu setzen.
Léon de Ruiz, dem es immer noch schwer fiel, unter dem Namen ›Mustafa‹ an sich selbst zu denken, blieb verwirrt zurück.
Eine geheimnisvolle Fremde, die ihn mit einer unverständlichen Botschaft zum Emir schickte. Wo war er da hineingeraten? War das vielleicht eine verschlüsselte Botschaft? Was würde er auslösen, wenn er dem Herrscher ihre Worte tatsächlich vermittelte?
Aber andererseits schien die Frau ihm nichts Böses zu wollen. Im Gegenteil, sie hatte ihn gerettet, ihn eingekleidet ...
Mustafa dachte nicht an Flucht. Er wusste längst, dass es für einen Sklaven wie ihn kein Entrinnen aus dem Land der Mauren gab, und wo hätte er auch hingehen sollen? Seine Mutter war am selben Tag gefangen genommen wordenwie er. Sie weilte jetzt wahrscheinlich in irgendeinem Harem. Ob sein Vater noch lebte, wusste er nicht – und er würde sowieso nie wagen, ihm vor die Augen zu treten. Was sollte ein kastilianischer Ritter mit einem granadinischen Lustsklaven – noch dazu einem, dem man die Männlichkeit geraubt hatte? Léon traten erneut Tränen in die Augen. Noch zu kurz lag der schreckliche Tag zurück, als sein Herr ihn verächtlich angesehen hatte, nachdem er die üblichen Verse für ihn rezitiert hatte. Diesmal waren es sogar besonders saftige Verse gewesen – schwüle Poeme voll wüster Anspielungen, die von den fein geschwungenen Lippen eines scheuen Kindes mit engelsgleichen Zügen perlten. Eine Perfidie, aber der liebste Zeitvertreib für seinen Herrn – oder nein, eher ein Vorspiel auf seinen liebsten Zeitvertreib. Danach pflegte der Herr selbst Verse zu winden, schwülstige Lobpreisungen auf die Unschuld des Knaben, während er ihm eben diese aus dem Leib stieß. Léon war so oft Opfer dieses Spiels gewesen, dass er den Schmerz und die Demütigung kaum noch spürte. In den ersten Jahren, nachdem man den kleinen Pagen mit den langen, braunen Locken aus der Sicherheit seiner Burg geraubt und von der Hand seiner schönen Mutter weggerissen hatte, war er fast jede Nacht zu seinem Herrn gerufen worden. Damals hatte er noch keine Gedichte gekannt, sein Weinen hatte genügt, den Herrn zu erregen. Später hatte sich alles verfeinert, Léon hatte sich mit seinem Leben abgefunden. Bis zu jenem Tag, als seine Stimme gebrochen war, während er die Lieblingsverse seines Peinigers vortrug. Léon hatte sich rasch verbessert, aber das Kieksen des Stimmbruchs war nicht zu unterdrücken gewesen. Er entsann sich noch genau ... und hörte, wie die Knaben lachten, die seinem Herrn während des Vortrags aufwarteten. Blutrot vor Scham
Weitere Kostenlose Bücher