Schloss aus Glas
ab, während ich schlief. Ein weiterer Nachteil war, dass es zeitaufwendig war, die Vorrichtung korrekt anzubringen, und ich immer wartete, bis es dunkel war, damit mich niemand sah.
Eines Abends lag ich mit meiner ausgetüftelten Kleiderbü-gel-Zahnspange im Bett, als die Tür aufging. Ich konnte undeutlich eine Gestalt in der Dunkelheit erkennen. »Wer ist da?«, rief ich, aber weil ich die Spange trug, hörte es sich an wie: »Wisch da?«
»Dein alter Herr«, rief Dad. »Wieso nuschelst du so?« Er kam an mein Bett,, hielt sein Feuerzeug hoch und machte es an. Eine kleine Flamme schoss hoch. »Was zum Henker trägst du denn da um den Kopf?«
»Meine Schahnschwange«, sagte ich.
»Deine was?«
Ich nahm die Vorrichtung ab und erklärte Dad, dass ich eine Zahnspange bräuchte, weil meine Vorderzähne so weit vorstünden, aber eine Spange kostete zwölfhundert Dollar, deshalb hätte ich mir selbst eine gebastelt.
»Setz das Ding wieder auf«, sagte Dad. Er sah sich meine Konstruktion ganz genau an und nickte dann. »Deine Zahnspange ist ein ausgeklügelter Geniestreich«, sagte er. »Du schlägst ganz nach deinem alten Herrn.«
Er fasste mein Kinn und zog mir den Mund auf. »Und ich glaube, es funktioniert tatsächlich.«
Im selben Jahr fing ich an, für die Schülerzeitung The Maroon Wave zu arbeiten. Ich wollte einem Club oder einer Gruppe oder einem Verein beitreten, wo ich das Gefühl haben konnte, dazuzugehören, wo nicht immer alle wegrückten, wenn ich mich neben sie setzte. Ich war noch immer eine gute Läuferin, und ich überlegte, in die Leichtathletikmannschaft zu gehen, aber da musste sich jeder sein Trikot selbst kaufen, und Mom sagte, das könnten wir uns nicht leisten. Bei der Schülerzeitung konnte man mitmachen, ohne sich ein Trikot oder ein Musikinstrument anzuschaffen oder Beiträge zu bezahlen.
Miss Jeanette Bivens unterrichtete Englisch an unserer Schule und war die fachliche Beraterin von der Wave. Sie war eine ruhige, penible Frau und bereits so lange an der Highschool von Welch, dass schon Dad sie als Englischlehrerin gehabt hatte. Sie war der erste Mensch in seinem Leben gewesen, so erzählte er mir einmal, der an ihn geglaubt hatte. Sie hielt große Stücke auf sein schriftstellerisches Talent und hatte ihn ermutigt, bei einem landesweiten Lyrikwettbewerb mitzumachen. Er hatte ein vierundzwanzigzeiliges Gedicht mit dem Titel »Sommergewitter« verfasst und eingereicht. Als er damit den ersten Preis gewann, äußerte eine andere Lehrerin laut ihre Zweifel, ob der Sohn von zwei asozialen Alkoholikern wie Ted und Erma Walls das Gedicht wirklich selbst geschrieben hatte. Dad war tief gekränkt und wollte die Schule schmeißen. Miss Bivens gelang es, ihn zum Weitermachen zu bewegen und dazu, seinen Abschluss zu machen, indem sie ihm versicherte, dass er das Zeug dazu hätte, eine große Persönlichkeit zu werden. Dad hatte mich nach ihr benannt, und Mom schlug vor, meinen Namen mit zwei »n« zu schreiben, weil das eleganter und französisch wirkte.
Miss Bivens sagte zu mir, wenn sie sich recht erinnere, sei ich die erste Siebtklässlerin, die je bei der Wave mitgemacht hatte. Ich begann als Korrekturleserin. An Winterabenden setzte ich mich nun nicht mehr zu Hause mit den anderen um den Ofen, sondern ging in die warmen, trockenen Redaktionsbüros von der Welch Daily News , wo The Maroon Wave gesetzt, layoutet und gedruckt wurde. Ich fand die arbeitsintensive Atmosphäre in der Nachrichtenredaktion toll. An der Wand ratterten Fernschreiber, aus denen sich Papier mit den neuesten Meldungen aus aller Welt schlängelte und sich auf dem Fußboden türmte. Neonröhren hingen knapp dreißig Zentimeter über den schrägen Layout-Tischen mit Glasoberfläche, an denen sich Männer mit grünen Augenschirmen über Stapel mit Reproduktionen und Fotos berieten.
Ich saß mit den Wave-Fahnenabzügen, die eine von den Setzerinnen der Daily News vorbereitet hatte, an einem der Schreibtische, den Rücken gerade, Bleistift hinter dem Ohr, und sah die Seiten auf Druckfehler durch. Ich besaß reichlich Übung darin, da ich Mom ja schon immer geholfen hatte, die Hausaufgaben ihrer Schüler auf Rechtschreibfehler hin zu korrigieren. Die Korrekturen auf den Fahnen machte ich mit einem hellblauen Filzstift, der von der Kamera, mit der die Seiten für den Druck fotografiert wurden, nicht erfasst werden konnte. Die Setzerinnen, die ihre Arbeit nur sehr ungern noch einmal machten, tippten die Zeilen, die ich
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