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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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wollte, damit die sie in New Yorker Galerien zeigen konnte. Wenn Mom die Minolta nicht brauchte, nahm ich sie überall mit hin, weil man nie wissen konnte, wann man auf etwas Berichtenswertes stieß. Das Gute an meinem Status als Reporterin war, dass es mir einen Vorwand verschaffte, überall aufzukreuzen, wo ich wollte. Da ich in Welch nicht viele Freunde hatte, ging ich so gut wie nie zu Football-Matches oder in Diskos oder zu irgendwelchen Kundgebungen. Ich kam mir allein immer komisch vor, wenn alle anderen mit Freunden zusammen waren. Aber als ich für die Wave arbeitete, hatte ich einen Grund, dabei zu sein. Ich hatte einen Auftrag, gehörte der Presse an, erschien mit meinem Notizblock in der Hand und der Minolta um den Hals.
    Also ging ich zu fast jeder Freizeit- oder Sportveranstaltung an der Schule, und die Mitschüler, die mich bisher immer geschnitten hatten, akzeptierten mich jetzt und suchten manchmal sogar den Kontakt zu mir, indem sie sich in Pose stellten oder herumalberten, in der Hoffnung, dass ihr Bild in die Zeitung kam. Ich war jetzt jemand, der sie berühmt machen konnte, wenn er wollte, und mit dem man es sich besser nicht verscherzte.
    Obwohl die Wave nur ein Mal im Monat erschien, arbeitete ich jeden Tag für die Zeitung. Ich versteckte mich in der Mittagspause nicht mehr auf dem Klo, sondern blieb in der Klasse, wo ich meine Artikel schrieb, die Artikel von anderen Schülern überarbeitete und die Buchstaben der Überschriften zählte, damit sie in die Spalten passten. Ich hatte endlich eine gute Ausrede, wenn ich gefragt wurde, warum ich mittags nicht in der Cafeteria aß. »Ich bin knapp dran mit einem Artikel«, sagte ich dann. Auch nach der Schule blieb ich länger, um in der Dunkelkammer meine Fotos zu entwickeln, und das hatte einen ungeahnten Vorteil. Ich konnte mich in die Küche der Cafeteria schleichen, wenn niemand mehr da war, und die Abfalleimer durchsuchen. Ich fand Großhandelsdosen Mais, die noch fast voll waren, und Riesenbehälter mit Krautsalat und Tapiokapudding. Ich brauchte von da an fast nie mehr hungern.
    Als ich in die elfte Klasse kam, machte Miss Bivens mich zur Chefredakteurin, obwohl der Posten eigentlich für jemanden aus der zwölften gedacht war. Nur eine Hand voll Schüler und Schülerinnen wollte bei der Wave mitmachen, und so kam es, dass ich so viele Artikel selbst schrieb, dass ich die Verfasserangabe abschaffte; es sah ein bisschen albern aus, wenn mein Name vier Mal auf der ersten Seite auftauchte.
    Die Zeitung kostete fünfzehn Cent, und ich verkaufte sie selbst. Ich ging von Klasse zu Klasse oder stand auf den Fluren, wo ich sie wie ein Zeitungsjunge verhökerte. Unsere Highschool hatte rund zwölfhundert Schüler, aber wir verkauften nur an die zweihundert Exemplare, und ich versuchte mit allen Tricks, die Auflage zu erhöhen: Ich veranstaltete Gedichtwettbewerbe, rief eine Mode-Rubrik ins Leben und schrieb polemische Leitartikel - einmal stellte ich Sinn und Zweck von Standardtests in Frage, was mir einen zornigen Brief von der Schulbehörde einbrachte. Es nutzte alles nichts.
    Als ich eines Tages einen Schüler zum Kauf der Wave überreden wollte, sagte er, er könne mit der Zeitung nicht viel anfangen, da immer nur dieselben Namen darin auftauchten: die Sportler der Schule und die Cheerleader und eine Hand
    voll Schüler, die als Streber verschrien waren und sämtliche Auszeichnungen einheimsten. Also startete ich eine Rubrik, die ich »Geburtstagsecke« nannte, wo die Namen von den rund achtzig Schülerinnen und Schüler aufgelistet waren, die im kommenden Monat Geburtstag hatten. Die meisten von ihnen hatten noch nie in der Zeitung gestanden, und sie waren so aufgeregt, ihren Namen abgedruckt zu sehen, dass wir die ganze Auflage verkauften und sie bei der nächsten Ausgabe verdoppelten. Miss Bivens stellte sich laut die Frage, ob die Geburtstagsecke noch unter ernsthaften Journalismus fiel. Ich erwiderte, das sei mir egal - Hauptsache, das Blatt verkaufte sich.
    In dem Jahr stattete Chuck Yeager der Highschool von Welch einen Besuch ab. Dad hatte mir schon so viel über Chuck Yeager erzählt. Er stammte aus West Virginia, wo er in Hamlin am Mud River im Lincoln County geboren wurde, er war Air-Force-Pilot im Zweiten Weltkrieg gewesen und hatte mit zweiundzwanzig schon dreizehn deutsche Flugzeuge abgeschossen. Dann wurde er Testpilot auf dem Air-Force-Stützpunkt Edwards in der kalifornischen Mojave-Wüste, und 1947 gelang es ihm mit seiner X-1

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