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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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deshalb hast du wahrscheinlich rein theoretisch Recht gehabt. Eine Sammlung von Teilen sollte als ein Teil betrachtet werden. Aber leider setzt sich die Theorie nicht immer durch.«
    Wir fuhren mit unseren Fahrrädern überallhin. Manchmal befestigten wir Spielkarten mit Wäscheklammern an der Gabel, und wenn die Räder sich drehten, klatschten die Karten laut gegen die Speichen. Jetzt, wo Lori sehen konnte, war sie unsere Navigatorin. Sie besorgte an einer Tankstelle einen Stadtplan und legte im Voraus unsere Routen fest. Wir radelten am Westward Ho Hotel vorbei, die Central Avenue hinunter, wo Indianerinnen mit kantigen Gesichtern auf regenbogenfarbenen Umhängen, die sie auf dem Bürgersteig ausgebreitet hatten, Perlenhalsbänder und Mokassins verkauften. Wir radelten zu Woolworth's, das größer war als sämtliche Geschäfte in Battie Mountain zusammengenommen, und spielten zwischen den Regalen Fangen, bis uns der Geschäftsführer verscheuchte. Wir kramten Grandma Smith' alte Holztennisschläger hervor und radelten zur Phoenix University, wo wir versuchten, mit den alten Bällen, die andere liegen gelassen hatten, Tennis zu spielen. Wir radelten zum Civic Center, wo es eine Bücherei gab, in der uns die Bibliothekarinnen schon kannten, weil wir so oft kamen. Sie empfahlen uns Bücher, und wir verstauten sie in den Drahtkörben an unseren Rädern und fuhren dann mitten auf dem Bürgersteig nach Hause, als würde uns die Welt gehören.
    Da Mom und Dad nun so viel Geld hatten, bekamen wir auch ein Telefon. Wir hatten noch nie ein Telefon gehabt, und immer wenn es klingelte, rasten wir Kinder alle hin. Wer von uns als Erster da war, hob ab und sagte mit einem hochnäsigen englischen Akzent: »Villa Walls, der Butler am Apparat, was kann ich für Sie tun?«, während wir anderen uns im Hintergrund vor Lachen bogen.
    Wir hatten auch einen großen Plattenspieler in einem Holzschrank, der Grandma gehört hatte. Man konnte einen ganzen Stapel Schallplatten auflegen, und wenn eine abgespielt war, schwang der Tonarm automatisch nach außen, und die nächste Scheibe fiel mit einem fröhlichen Platsch nach unten. Mom und Dad liebten Musik, vor allem schwungvolle Stücke, bei denen man Lust kriegte, zu tanzen oder wenigstens mit dem Kopf oder dem Fuß zu wippen. Mom stöberte gern in Trödelläden herum und brachte dann alte LPs mit Polkamusik, Spirituals, deutschen Märschen, italienischen Opern und Western-Songs mit nach Hause. Sie kaufte auch Kartons mit gebrauchten Pumps, die sie als ihre Tanzschuhe bezeichnete. Manchmal schlüpfte sie in ein Paar Tanzschuhe, legte einen Stapel Schallplatten auf und drehte die Lautstärke hoch. Wenn Dad da war, tanzte er mit ihr, ansonsten tanzte sie allein, Walzer oder Jitterbug oder den Texas Two-Step, von Zimmer zu Zimmer, während die Klänge von Mario Lanza oder Humtata-Tubas durchs Haus schallten oder irgendein wehmütiger Cowboy »The Streets of Laredo« sang.
    Mom und Dad kauften auch eine Waschmaschine, die wir draußen auf die Terrasse stellten. Sie sah aus wie eine weiße Emailwanne auf Beinen und wurde mit Wasser aus dem Gartenschlauch gefüllt. Ein großer Rührarm drehte sich hin und her und ließ die ganze Maschine über die Zementterrasse
    tänzeln. Es gab keine Waschgänge. Man wartete einfach ab, bis das Wasser schmutzig wurde, dann kam die Wäsche in die Wringmaschine - zwei von einem Motor gedrehte Gummiwalzen über der Wanne. Zum Ausspülen der Wäsche wiederholte man den Vorgang ohne Waschpulver und ließ das Wasser anschließend in den Garten laufen, damit das Gras besser wuchs.
    Trotz unserer wunderbaren Geräte war das Leben in Phoenix nicht nur purer Luxus. Wir hatten Unmengen von Kakerlaken im Haus, große, kräftige Biester mit glänzenden Flügeln. Zu Anfang waren es nur ein paar, aber da Mom es mit dem Saubermachen nicht so genau nahm, waren sie fruchtbar und mehrten sich. Nach einer Weile huschten ganze Armeen von ihnen über die Wände und den Boden und die Arbeitsplatten in der Küche. In Battie Mountain hatten wir Eidechsen gehabt, die die Fliegen fraßen, und Katzen, die die Eidechsen fraßen. Uns fiel kein Tier ein, das gern Kakerlaken fraß, deshalb schlug ich vor, Kakerlakenspray zu kaufen, wie all unsere Nachbarn auch, aber Mom war gegen chemische Kriegsführung. Das war das Gleiche wie mit den Insektenabwehrstreifen, sagte sie, am Ende vergiftete man sich damit auch selbst.
    Mom hielt den Nahkampf für die beste Taktik. Abends richteten wir in der

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