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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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bestehe.
    »Uns vernachlässigt keiner«, sagte ich.
    »Bist du sicher?«
    »Ganz sicher, Mister.«
    »Hat dein Vater Arbeit?«
    »Natürlich«, sagte ich. »Er macht Gelegenheitsjobs. Und er ist Unternehmer. Er entwickelt eine Technik, mit der sich minderwertige Bitumenkohle sicher und wirtschaftlich verbrennen lässt.«
    »Und deine Mutter?«
    »Die ist Künstlerin«, sagte ich und fügte hinzu: » Und Schriftstellerin und Lehrerin.«
    »Wirklich?« Der Mann notierte sich etwas auf einem Block. »Wo?«
    »Ich glaube nicht, dass es Mom und Dad recht wäre, wenn ich ohne ihr Beisein mit Ihnen spreche«, sagte ich. »Kommen Sie wieder, wenn sie da sind. Sie werden Ihre Fragen beantworten.«
    »Gut«, sagte der Mann. »Ich komme wieder. Sag ihnen das.«
    Er reichte mir ein Kärtchen durch den Türspalt. Ich sah ihm nach, wie er nach unten stieg. »Vorsicht auf der Treppe«, rief ich. »Wir bauen gerade eine neue.«
    Sobald der Mann gegangen war, lief ich vor lauter Wut den Hang hoch und warf Steine - große Steine, die ich nur mit beiden Händen hochheben konnte - in die Abfallgrube. Außer Erma hatte ich niemanden mehr gehasst als diesen Mann vom Jugendamt. Nicht mal Ernie Good. Wenn Ernie und seine Bande kamen und brüllten, wir wären Abfall, dann konnten wir sie wenigsten mit Steinen verjagen. Aber wenn der Mann vom Jugendamt sich in den Kopf setzte, wir wären als Familie untauglich, hatten wir keine Möglichkeit, ihn zu vertreiben. Er würde eine Untersuchung anstellen und am
    Ende mich und Brian und Lori und Maureen in verschiedenen Familien unterbringen, obwohl wir alle gute Noten hatten und das Morsealphabet kannten. Das durfte ich nicht zulassen. Nie im Leben wollte ich Brian und Lori und Maureen verlieren.
    Schade, dass wir nicht einfach türmen konnten. Wenn wir früher in der Klemme saßen, verkündete Dad, es sei an der Zeit weiterzuziehen, und wir packten einfach alles zusammen und fuhren noch in derselben Nacht los. Brian, Lori und ich dachten immer, wir würden Welch genauso verlassen. Alle zwei Monate fragten wir Dad, ob wir weiterziehen würden. Er sprach manchmal von Australien oder Alaska, aber er machte keinerlei Anstalten zum Aufbruch, und wenn wir Mom fragten, fing sie an, irgendein Lied zu trällern, dass unsere Zeiten des Auf und Davon aus und vorbei seien. Vielleicht hatte die Rückkehr nach Welch Dads Selbstbild als ewig Umherfahrender ein für alle Mal zerstört. Die Wahrheit war, wir saßen fest.
    Als Mom nach Hause kam, gab ich ihr die Karte des Mannes und erzählte ihr von seinem Besuch. Ich war noch immer wütend. Ich sagte, da weder sie noch Dad Lust hätten zu arbeiten und sie sich weigerte, Dad zu verlassen, würde eben das Jugendamt ihr die Mühe abnehmen, die Familie zu trennen.
    Ich rechnete fest mit einer von Moms treffsicheren Bemerkungen, doch sie hörte sich meine Tirade schweigend an. Dann sagte sie, sie müsse nachdenken. Sie setzte sich an ihre Staffelei. Sie hatte keine Leinwand mehr und malte jetzt auf Sperrholz. Also nahm sie ein Brett, griff nach ihrer Palette, drückte ein paar Farben darauf und wählte einen Pinsel aus.
    »Was machst du da?«, fragte ich.
    »Ich denke nach«, sagte sie.
    Mom arbeitete flink, automatisch, als wüsste sie genau, was sie malen wollte. Eine Figur nahm auf dem Brett Gestalt an. Es war eine Frau von der Taille an aufwärts, mit erhobenen Armen. Blaue konzentrische Kreise erschienen um ihre
    Taille. Das Blau war Wasser. Mom malte eine Frau, die in einem stürmischen See ertrinkt. Als sie fertig war, saß sie lange schweigend vor dem Bild und starrte es an.
    »Und, was willst du jetzt machen?«, fragte ich schließlich.
    »Jeannette, deine Zielstrebigkeit ist unheimlich.«
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte ich.
    »Ich werd mir Arbeit suchen, Jeannette«, erwiderte sie schroff. Sie warf den Pinsel in das Marmeladenglas mit Terpentin und blieb sitzen, den Blick auf die ertrinkende Frau gerichtet.
    Im McDowell county gab es so wenige ausgebildete Lehrkräfte, dass zwei von den Lehrerinnen, die ich auf der Highschool von Welch haben würde, nie ein College von innen gesehen hatten und Moms Stellensuche schon Ende der Woche erfolgreich war. In der Zwischenzeit versuchten wir verzweifelt, das Haus zu putzen, bevor der Mann vom Jugendamt wieder aufkreuzte. Bei dem Ramsch, den Mom gehortet hatte, dem Loch in der Decke und dem widerlichen gelben Eimer in der Küche war es jedoch ein hoffnungsloses Unternehmen.
    Mom fand eine Stelle an

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