Schloss der Liebe
keuchend wieder zu Atem kam, flüsterte er: »Mein Herr Richard wartet mit zwei Dutzend Männern im Wald von Pevensey. Wir drei haben uns als Dorfbewohner verkleidet. Heute ist Markttag, und so war es nicht schwer, durch das Burgtor zu gelangen. Da haben wir Euch gesehen und unser Glück versucht.« Flehentlich schaute er Hastings an. »Gebt mir das Gegenmittel, gute Frau, ich beschwöre Euch.«
Hastings sah Severin an. Er blickte nachdenklich vor sich hin. Wenn sie nicht von seiner tiefen Wunde an der Schulter gewusst hätte, sie hätte ihm nichts angemerkt. Sie wartete und schwenkte die Flüssigkeit in dem Becher. Die mit dem Bier vermischten Blüten rochen faulig, schmeckten aber süß. Der Gefangene starrte sehnsüchtig auf den Becher. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Aber sie wartete ab. Es war Severins Entscheidung. Sie fragte sich, ob er nicht einfach dem Mann mit seinem Dolch die Brust aufschlitzen würde.
Severin sagte: »Gebt ihm das Mittel, Hastings.«
Sie ließ sich auf die Knie nieder und hielt dem Mann behutsam den Becher an den Mund. »Trinkt langsam«, ermahnte sie ihn. »Schön langsam. Danach werden Euch die Männer in den Schatten tragen und Ihr werdet eine Weile schlafen. Wenn Ihr aufwacht, wird sich Euer Magen erholt haben.«
Als sie den Mann gegen den Schweinestall gelehnt hatten und er eingeschlafen war, sagte Severin zu den anderen: »Ich werde ihn laufen lassen. Er soll Richard de Luci eine Nachricht überbringen. Graelam, kommt mit mir, während ich den Brief schreibe.«
Er konnte also schreiben. Es überraschte sie nicht sonderlich. Eigentlich konnte sie nichts an ihm noch in Erstaunen versetzen. Im Grunde war sie sogar erleichtert, denn auf diese Weise musste sie Torric, den Verwalter ihres Vaters, nicht ganz so streng auf die Finger sehen. Ihr Vater, ebenfalls des Schreibens kundig, war sehr stolz darauf gewesen und nicht müde geworden zu betonen, dass niemand gezwungen sein sollte, sich auf andere zu verlassen, schon gar nicht, wenn es um Geld und Gut ging.
Gemächlich schlendernd folgte sie den Männern in den Großen Saal. Sie überlegte, ob sie den Mann freigelassen oder ihm die Kehle durchgeschnitten hätte. Ihr Vater hätte ihn mit Wonne umgebracht, langsam und quälerisch, ihm das Gegenmittel vor Augen gehalten und ihm dann doch sein Schwert in die Brust getrieben.
Es wurde schon dunkel, als sie den Mann endlich frei ließen. Er blickte sich noch einmal nach Hastings um, mit vor Dankbarkeit glänzenden Augen. Hatte er schon vergessen, dass ihn ohne sie gar nicht erst Magenkrämpfe gequält hätten?
»Ich erwarte die Antwort deines Herrn bis zum Morgen«, sagte Severin. »Wenn er sich weigert, Vernunft anzunehmen, werde ich ihn töten und seine Burg dem Erdboden gleichmachen.«
Graelam fügte noch hinzu: »Doch bevor Severin Richard de Luci zur Hölle jagt, wird unsere Herrin ihm ein Mittelchen einflößen, dass ihn erbrechen lässt, bis ihm der Schädel platzt.«
Der Mann wurde blass und nickte. Nachdem er Oxborough verlassen hatte, begruben sie Lord Fawke von Trent, Graf von Oxborough, neben seiner Frau, die er acht Jahre zuvor getötet hatte. Vater Carreg hielt die Andacht. Die Männer schwiegen. Im Hintergrund gackerten Hühner, Schweine durchwühlten den Misthaufen, das Muhen der Kühe erklang von der anderen Seite der Mauer.
Schließlich erhob Vater Carreg die Stimme: »Und somit übergebe ich Lord Fawkes Schwert an seinen Nachfolger und Erben, Lord Severin von Langthorne-Trent, Baron Louges und dritter Graf von Oxborough.«
Severin zog das Schwert aus der Scheide. Er hielt es hoch über seinem Kopf und sagte mit lauter, klarer Stimme: »Ich übernehme die damit verbundene Verantwortung und gelobe, dass sie mir ebenso teuer sein wird wie meine Besitztümer. Bevor der Sommer vergangen ist, werden alle meine Vasallen den Lehnseid geleistet haben.«
Großes Jubelgeschrei brach aus, und nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen ließen ihn hochleben. Hastings konnte hören, wie sogar die Kinder Freudenschreie ausstießen. Einige Hunde fielen laut bellend mit ein. Der ganze Burghof bebte vor Lärm und Leben. Alle feierten. Ihn.
In diesem Moment wurde Hastings zum ersten Mal mit aller Schärfe bewusst, dass ihr Leben von nun an nie wieder dasselbe sein würde. Alles hatte sich geändert. Kein Weg führte mehr zurück. Oxborough hatte einen neuen Herrn. Und der war auch ihr Herr.
Alle schuldeten ihm nun den Treueschwur - ihm allein. Sie stellte sich vor, wie er
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