Schloß der verlorenen Seelen
zu ihrer Gastgeberin. “Was soll ich nur tun? Ob ich mit ihr einen Psychotherapeuten aufsuche? So kann es jedenfalls nicht weitergehen.”
“Du machst dir viel zu große Sorgen”, erwiderte Lady Mabel. “Ich würde eher sagen, daß es sich bei Lauras Verhalten um kindliche Eifersucht handelt.” Sie sah Camilla an. “Laura scheint instinktiv zu befürchten, du könntest dich in Mister Powell verlieben.” Ernst fügte sie hinzu: “Sei ehrlich, Camilla, was bedeutet er dir? - Bitte, entschuldige diese indiskrete Frage.”
“Ich mag ihn, und ich bin gern mit ihm zusammen”, antwortete die junge Frau.
“Camilla, es geht uns nichts an, aber du solltest nicht vergessen, daß Mister Powell unser Stallmeister ist. Er…”
“Du meinst, er ist nicht gesellschaftsfähig.”
“Sei mir nicht böse, aber leider Gottes stimmt es nun einmal.”
Camilla spürte einen namenlose Wut in sich aufsteigen. Es fiel ihr schwer, sich zu beherrschen. An diesem Vormittag schien alles schiefzugehen. Sie mußte sich zwingen, ihrer Gastgeberin nicht zu sagen, daß es in ihren Augen keine Menschen gab, die man durch Standesdünkel einfach ausgrenzen durfte. Aber sie wußte auch, daß Lady Mabel anders groß geworden war als sie, und daß sie es eigentlich nicht böse gemeint hatte.
“Du entschuldigst mich doch sicher”, meinte sie. “Ich möchte mich umziehen.”
“Natürlich, geh nur.” Lady Mabel schenkte ihr ein Lächeln. “Und nimm mir meine Worte nicht übel. Mister Powell ist ein netter Kerl, aber…”
“Laß nur.” Die junge Frau nickte ihr zu und verließ das Zimmer.
Gedankenverloren stieg sie die Treppe hinauf. Sie überlegte, was ihr Jason Powell bedeutete und gestand sich ein, daß sie sich ihrer Gefühle ihm gegenüber durchaus nicht im klaren war. Sie war ausgesprochen gerne mit ihm zusammen, fühlte sich wohl in seiner Gesellschaft. Doch konnte sie nicht sagen, ob sie sich in ihn verliebt hatte.
Noch immer tief in Gedanken betrat Camilla ihr Schlafzimmer. Als sie die Tür hinter sich schloß, bemerkte sie, daß die Schublade, in die sie die Puppe gelegt hatte, offenstand. Fassungslos starrte sie in das leere Fach. Dann untersuchte sie das Schloß. Es war nicht aufgebrochen worden. Aber sie war sich ganz sicher gewesen, die Schublade abgeschlossen zu haben.
Laura, dachte sie. Laura hat sich die Puppe geholt. Aber wie war es ihr möglich gewesen, die Schublade zu öffnen? Der Schlüssel steckte in ihrer Rocktasche. Sie hatte ihn am Morgen nicht unbeaufsichtigt im Zimmer lassen wollen.
Als Camilla wenig später auf die Terrasse hinunterkam, saß Laura auf einem der Stühle und blickte starr zum nahen Wald. Im Arm hielt sie die Puppe.
“Laura!”
Das kleine Mädchen reagierte nicht.
“Laura!” Camilla legte eine Hand auf die Schulter ihrer Schwester.
Die Siebenjährige zuckte zusammen und wandte sich ihr zu. “Bist du mir noch böse?” fragte sie.
“Laura, woher hast du die Puppe?”
“Von Cathy, aber das weißt du doch”, antwortete Laura. “Cathy hat sie mir gestern gegeben.”
“Ich hatte die Puppe eingeschlossen. Wie konntest du die Schublade öffnen?” Camilla beugte sich über das kleine Mädchen. “Sag es mir, Laura. Ich muß es wissen.”
“Cathy hat mir geholfen”, erwiderte ihre Schwester, dann sah sie, daß Lady Mabel auf die Terrasse trat. Sie sprang auf und lief ihr entgegen. “Darf ich die Dorothy mitnehmen?” fragte sie.
Lady Mabel seufzte leise auf. Sei warf Camilla einen hilflosen Blick zu. “Meinetwegen”, erlaubte sie. “Bis zum Lunch sind wir zurück, Camilla.” Sie nahm Laura bei der Hand.
“Was wird deine Freundin sagen, wenn Laura mit dieser Puppe bei ihr auftaucht?” Camilla wies auf das verschmutzte Puppenkleid.
“Wir lassen Dorothy im Wagen”, sagte Laura, bevor Lady Mabel antworten konnte. Sie löste sich von deren Hand und umarmte ihre Schwester, ohne die Puppe loszulassen. “Ich hab dich lieb”, bekannte sie, “so lieb, Camilla.”
“Ich dich auch.” Camilla küßte sie auf die Stirn. Dann wünschte sie ihrer Schwester und Lady Mabel viel Spaß und blieb niedergeschlagen zurück.
14. Kapitel
Jason Powell hatte bereits zwei Pferde satteln lassen. Er freute sich auf den Ausritt mit Camilla. Das Zusammensein mit der jungen Frau machte ihm Spaß, zumal er fühlte, daß er ihr nicht völlig gleichgültig war und er hatte schon immer gerne mit dem Feuer gespielt. “Guten Morgen, Miß Corman”, grüßte er gut gelaunt, als sie den Hof
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