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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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getrieben hat! Ja,
    aber auf diese Weise kommt man nach Abbazia, und die
    Handwerker fahren mit der Hand übern Alexanderplatz.
    So gleicht sich alles im Leben aus.“
    „Und wieso ist er schadenfroh?“
    „Das muß ein Erbfehler sein — an dieser Schadenfreude
    haben offenbar Generationen mitgearbeitet. Einer allein
    schafft das nicht. Ich glaube, wenn ihm sein bester Freund
    einen Gefallen tun will, dann muß er sich zum Geburtstag
    vom Chef das Bein brechen. Ich habe so etwas noch nicht
    gesehn. Der Mann sucht gradezu nach Gelegenheiten, wo
    er sich über das Malheur eines andern freuen kann … Es
    ist vielleicht, um sich die eigne Überlegenheit zu beweisen;
    wenn er frech wird, hält er sich für sehr überlegen. Das
    muß es wohl sein. Er ist so unsicher …“
    „Das sind sie beinah alle. Ist dir noch nicht aufgefallen,
    wieviel Frechheit durch Unsicherheit zu erklären ist?“
    „Ja … Das ist eine vergnügte Stadt! Aber was soll ich ma-
    chen? Da sagen sie: So eine Frau wie Sie! … Wenn ich das
    schon höre! … Irgendeinen Stiesel heiraten … Du lachst.
    Daddy, ich kann mit diesen Brüdern nicht leben. Na ja,
    das Geld. Aber es ist doch nicht bloß der Schlafwagen und
    das große Auto; das Schlimmste ist doch, wenn sie dann
    reden! Und wenn sie erst anfangen, sich gehenzulassen …
    Komm, es wird kühl.“
    Der Uhr nach wurde es nun langsam Abend; hier aber
    war noch alles hell, es waren die hellen Nächte, und wenn
    Gripsholm auch nicht gar so nördlich lag, so wurde es dort
    nur für einige Stunden dunkel, und ganz dunkel wurde
    es nie. Wir gingen über die Wiesen und blickten auf das
    Gras.
    „Wir wollen zu Abend essas!“ sagte die Prinzessin auf
    schwedisch.
    Wir aßen, und ich trank sehr andächtig Wasser dazu.
    Wenn man in ein fremdes Land kommt, dann muß man
    erst einmal das fremde Wasser in sich hineingluckern las-
    sen, das gibt einem den wahren Geschmack der Fremde.
    Da saßen wir und rauchten. So — und jetzt begannen die
    Ferien, die richtigen Ferien.
    Die Vorhänge des Schlafzimmers waren dicht zugezo-
    gen und mit Nadeln zugesteckt. Männer können nur im
    tiefen Dunkel schlafen; die Prinzessin hielt das gradezu
    für ein männliches Geschlechtsmerkmal. Ich las. „Raschle
    nicht so bösartig mit der Zeitung!“ sagte sie.
    In dieser Nacht drehte sich die Prinzessin um und
    schlief wie ein Stein. Sie atmete kaum; ich hörte sie nicht.
    Ich las.
    Es ist vorgekommen, daß ich nachts, in wilder Traum-
    furcht, aufgefahren bin und mich an die Prinzessin ange-
    klammert habe … wie lächerlich! „Willst du mich retten?“
    fragte sie dann lachend. Das ist zwei-, dreimal gesche-
    hen — oft wußte ich es gar nicht. „Heute nacht hast du
    mich wieder gerettet …“ sagte sie dann am nächsten
    Morgen. Aber nun waren Ferien; heute nacht würde ich
    sie bestimmt nicht retten. Ich legte meine Hand hinüber,
    auf die Schlafende. Sie seufzte leise und veränderte ihre
    Lage. Schön ist Beisammensein. Die Haut friert nicht.
    Alles ist leise und gut. Das Herz schlägt ruhig. Gute Nacht,
    Prinzessin.
    ZWEITES KAPITEL
    All to min Besten, sä de Jung —
    dor slögen se em den Stock upn
    Buckel entzwei.
    1
    Das Kind stand am Fenster und dachte so etwas wie: Wann
    hört dies auf? Dies hört nie auf. Wann hört dies auf?
    Es hatte beide Arme auf das Fensterbrett gestützt, das
    durfte es nicht — aber es war für einen Augenblick, für
    einen winzigen, gestohlenen Augenblick, allein. Gleich
    würden die andern kommen; man spürte das zuerst im
    Rücken, der nun der Tür zugewendet war, der Rücken
    kitzelte erwartungsvoll. Wenn die andern kommen, ist es
    aus. Denn dann kommt sie .
    Das kleine Mädchen schüttelte sich: es war wie die
    schnelle leise Bewegung eines Hundes, der Wasser ab-
    schüttelt. Das, was das Kind bedrückte, brauchte es nicht
    erst zu überdenken: es saß inmitten seiner kleinen Leiden
    wie auf einem Lotosblatt, zwischen andern Lotosblättern,
    und alle runden Blätter sahen es an — das Kind in der
    Mitte. Und es kannte sie alle, seine Leidensblätter.
    Die andern Kinder — sein Spitzname ‚Das Kind‘ — die-
    ses Kinderheim in Schweden — der tote Will, und nun stieg
    die Kurve der Furcht siedend-rot nach oben: Frau Adriani,
    die rothaarige Frau Adriani — und dahinter dann das trau-
    rigste: Mutti in Zürich. Es war zu viel. Das Kind zählte
    neun Jahre — es war zu viel für neun Jahre. Nun weinte
    es das bitterste Weinen, das Kinder weinen können: jenes,
    das

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