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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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Adriani: „Was bist du?“ geantwortet hatte: „Ich
    bin ein Kind.“ Niemand beachtete es jetzt.
    Wann hört dies auf? dachte das Kind. Das hört nie auf.
    Und dann liefen die Tränen, und nun weinte es, weil es
    weinte.
    2
    Die Bäume rauschten vor unsern Fenstern, und sie rausch-
    ten mich aus einem Traum, von dem ich schon beim Erwa-
    chen nicht mehr sagen konnte, was das gewesen sein mochte.
    Ich drehte mich in den Kissen; sie waren noch schwer von
    Traum. Vergessen … Warum war ich aufgewacht?
    Es klopfte.
    „Die Post! Daddy, die Post! Geh mal an die Tür!“ Die
    Prinzessin, die eben noch geschlafen hatte, war wach —
    ohne Übergang.
    Ich ging. Zwischen Bett und Tür überlegte ich, wie es
    doch zwischen Mann und Frau Morgen-Augenblicke gibt,
    da hat es sich mit der Liebe ausgeliebt. Sehr entscheidende
    Augenblicke — wenn die gut verlaufen, dann geht alles
    gut. Von dem quäkrigen „Wieviel Uhr ist es denn …?“
    bis zum „Hua — na, da steh auf!“ … da pickt die kleine
    Uhr auf dem Nachttisch viel Zeit auf, der Tag ist erwacht,
    nun schläft die Nacht, es schläft die unterirdische Hemi-
    sphäre … bei den meisten Frauen wenigstens, leider …
    Ich war an der Tür. Eine Hand steckte Briefe durch den
    Schlitz.
    Die Prinzessin hatte sich im Bett halb aufgerichtet und
    warf vor Aufregung alle Kissen durcheinander. „Meine
    Briefe! Das sind meine Briefe! Du Schabülkenkopp! Gib
    sie her! Na, da schall doch gliks …“ Sie bekam ihren Brief.
    Er war von ihrer Stellvertreterin aus dem Geschäft, und es
    stand darin geschrieben, daß es nichts zu schreiben gäbe.
    Die Sache mit Tichauer wäre in Ordnung. Beim kleinen
    Inventarbuch wären sie bei G. Das zu hören beruhigte
    mich ungemein. Was für Sorgen hatten diese Leute! Was
    für Sorgen sie hatten? Ihre eignen, merkwürdigerweise.
    „Geh mal Wasser braten!“ sagte die Prinzessin. „Du
    mußt dich rasieren. So, wie du da bist, kannst du keinem
    Menschen einen Kuß geben. Was hast du für einen Brief
    bekommen?“ — Ich grinste und hielt den Brief hinter
    meinem Rücken verborgen. Die Prinzessin stritt erbittert
    mit den Kissen. „Wahrscheinlich von irgend einer Braut …
    einer dieser alten Exzellenzen, die du so liebst … Zeig
    her. Zeig her, sag ich!“ Ich zeigte ihn nicht. „Ich zeige
    ihn nicht!“ sagte ich. „Ich werde dir den Anfang vorle-
    sen. Ich schwöre, daß es so dasteht, wie ich lese — ich
    schwöre es. Dann kannst du ihn sehn.“ Ein Kissen fiel, er-
    schöpft und zu Tode geschlagen, aus dem Bett. „Von wem
    ist er?“ — „Er ist von meiner Tante Emmy. Wir sind ver-
    zankt. Jetzt will sie etwas von mir. Darum schreibt sie. Sie
    schreibt:
    ‚Mein lieber Junge! Kurz vor meiner Einäscherung er-
    greife ich die Feder …‘ “
    „Das ist nicht wahr!“ schrie die Prinzessin. „Das ist …
    gib her! Es ist ganz grrroßartig, wie Bengtsson sagen
    würde. Geh dich rasieren und halt die Leute hier nich mit
    deine eingeäscherten Tantens auf !“
    Und dann gingen wir in die Landschaft.
    Das Schloß Gripsholm strahlte in den Himmel; es lag
    beruhigend und dick da und bewachte sich selbst. Der See
    schaukelte ganz leise und spielte — plitsch, plitsch — am
    Ufer. Das Schiff nach Stockholm war schon fort; man ahnte
    nur noch eine Rauchfahne hinter den Bäumen. Wir gingen
    quer ins Land hinein.
    „Die Frau im Schloß“, sagte die Prinzessin, „spricht ein
    privates Deutsch. Eben hat sie mich gefragt, ob wir es
    nachts auch warm genug hätten — ich wäre wohl gewiß
    ein Frierküchlein …“ — „Das ist schön“, sagte ich. „Man
    weiß bei den nordischen Leuten nie, ob sie sich das wört-
    lich aus ihren Sprachen übersetzen oder ob sie unbewußt
    Neues schaffen. In Kopenhagen kannte ich mal eine, die
    sagte — und sie hatte eine Baßstimme vor Wut: Dieses Ko-
    penhagen ist keine Hauptstadt — das ist ein Hauptloch! Ob
    sie das wohl erfunden hat?“ — „Du kennst so viele Leute,
    Daddy!“ sagte die Prinzessin. „Das muß schön sein …“ —
    „Nein, ich kenne lange nicht mehr so viel Leute wie früher.
    Wozu auch?“ — „Ick will di mal wat seggen, min Jung“,
    sagte die Prinzessin, die es heute mit dem Plattdeutschen
    hatte. „Wenn du nen Minschen kennenliernst un du weißt
    nich so recht, wat mit em los ist, dann frag di ierst mal:
    giwt hei mie Leev oder giwt hei mi Geld? Wenn nix von
    beid Deil, denn lat em lopen und holl di nich bi em upp!
    Dessenungeachtet brauchst du aber nicht in

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