Schloß Gripsholm
Adriani: „Was bist du?“ geantwortet hatte: „Ich
bin ein Kind.“ Niemand beachtete es jetzt.
Wann hört dies auf? dachte das Kind. Das hört nie auf.
Und dann liefen die Tränen, und nun weinte es, weil es
weinte.
2
Die Bäume rauschten vor unsern Fenstern, und sie rausch-
ten mich aus einem Traum, von dem ich schon beim Erwa-
chen nicht mehr sagen konnte, was das gewesen sein mochte.
Ich drehte mich in den Kissen; sie waren noch schwer von
Traum. Vergessen … Warum war ich aufgewacht?
Es klopfte.
„Die Post! Daddy, die Post! Geh mal an die Tür!“ Die
Prinzessin, die eben noch geschlafen hatte, war wach —
ohne Übergang.
Ich ging. Zwischen Bett und Tür überlegte ich, wie es
doch zwischen Mann und Frau Morgen-Augenblicke gibt,
da hat es sich mit der Liebe ausgeliebt. Sehr entscheidende
Augenblicke — wenn die gut verlaufen, dann geht alles
gut. Von dem quäkrigen „Wieviel Uhr ist es denn …?“
bis zum „Hua — na, da steh auf!“ … da pickt die kleine
Uhr auf dem Nachttisch viel Zeit auf, der Tag ist erwacht,
nun schläft die Nacht, es schläft die unterirdische Hemi-
sphäre … bei den meisten Frauen wenigstens, leider …
Ich war an der Tür. Eine Hand steckte Briefe durch den
Schlitz.
Die Prinzessin hatte sich im Bett halb aufgerichtet und
warf vor Aufregung alle Kissen durcheinander. „Meine
Briefe! Das sind meine Briefe! Du Schabülkenkopp! Gib
sie her! Na, da schall doch gliks …“ Sie bekam ihren Brief.
Er war von ihrer Stellvertreterin aus dem Geschäft, und es
stand darin geschrieben, daß es nichts zu schreiben gäbe.
Die Sache mit Tichauer wäre in Ordnung. Beim kleinen
Inventarbuch wären sie bei G. Das zu hören beruhigte
mich ungemein. Was für Sorgen hatten diese Leute! Was
für Sorgen sie hatten? Ihre eignen, merkwürdigerweise.
„Geh mal Wasser braten!“ sagte die Prinzessin. „Du
mußt dich rasieren. So, wie du da bist, kannst du keinem
Menschen einen Kuß geben. Was hast du für einen Brief
bekommen?“ — Ich grinste und hielt den Brief hinter
meinem Rücken verborgen. Die Prinzessin stritt erbittert
mit den Kissen. „Wahrscheinlich von irgend einer Braut …
einer dieser alten Exzellenzen, die du so liebst … Zeig
her. Zeig her, sag ich!“ Ich zeigte ihn nicht. „Ich zeige
ihn nicht!“ sagte ich. „Ich werde dir den Anfang vorle-
sen. Ich schwöre, daß es so dasteht, wie ich lese — ich
schwöre es. Dann kannst du ihn sehn.“ Ein Kissen fiel, er-
schöpft und zu Tode geschlagen, aus dem Bett. „Von wem
ist er?“ — „Er ist von meiner Tante Emmy. Wir sind ver-
zankt. Jetzt will sie etwas von mir. Darum schreibt sie. Sie
schreibt:
‚Mein lieber Junge! Kurz vor meiner Einäscherung er-
greife ich die Feder …‘ “
„Das ist nicht wahr!“ schrie die Prinzessin. „Das ist …
gib her! Es ist ganz grrroßartig, wie Bengtsson sagen
würde. Geh dich rasieren und halt die Leute hier nich mit
deine eingeäscherten Tantens auf !“
Und dann gingen wir in die Landschaft.
Das Schloß Gripsholm strahlte in den Himmel; es lag
beruhigend und dick da und bewachte sich selbst. Der See
schaukelte ganz leise und spielte — plitsch, plitsch — am
Ufer. Das Schiff nach Stockholm war schon fort; man ahnte
nur noch eine Rauchfahne hinter den Bäumen. Wir gingen
quer ins Land hinein.
„Die Frau im Schloß“, sagte die Prinzessin, „spricht ein
privates Deutsch. Eben hat sie mich gefragt, ob wir es
nachts auch warm genug hätten — ich wäre wohl gewiß
ein Frierküchlein …“ — „Das ist schön“, sagte ich. „Man
weiß bei den nordischen Leuten nie, ob sie sich das wört-
lich aus ihren Sprachen übersetzen oder ob sie unbewußt
Neues schaffen. In Kopenhagen kannte ich mal eine, die
sagte — und sie hatte eine Baßstimme vor Wut: Dieses Ko-
penhagen ist keine Hauptstadt — das ist ein Hauptloch! Ob
sie das wohl erfunden hat?“ — „Du kennst so viele Leute,
Daddy!“ sagte die Prinzessin. „Das muß schön sein …“ —
„Nein, ich kenne lange nicht mehr so viel Leute wie früher.
Wozu auch?“ — „Ick will di mal wat seggen, min Jung“,
sagte die Prinzessin, die es heute mit dem Plattdeutschen
hatte. „Wenn du nen Minschen kennenliernst un du weißt
nich so recht, wat mit em los ist, dann frag di ierst mal:
giwt hei mie Leev oder giwt hei mi Geld? Wenn nix von
beid Deil, denn lat em lopen und holl di nich bi em upp!
Dessenungeachtet brauchst du aber nicht in
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