Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Vorwärtswaschbecken.«
»Egal!«, schnauzte ich sie an und kippte den Stuhl so gegen das Becken,
dass das Gesicht des Verletzten zur Decke zeigte. Dann ließ ich kaltes Wasser über
seinen Kopf laufen.
Immerhin, er lebte. Um seine geschlossenen Augen herum zuckte es. Aber
da waren blaue Flecken überall und eine geplatzte Lippe. Von der verwüsteten Kopfhaut
ganz zu schweigen. Der blonde Daniel würde einige Zeit brauchen, bis er wieder so
smart aussah wie vorhin am Schlossblick.
Vielleicht würde er nie wieder blond sein.
»Wer tut denn so was?« Frau Kaiser wischte sich die Tränen aus den
Augen. Gizem stand stumm daneben und schluckte.
Schweigend verteilte ich das Wasser über Daniels Kopf. Erst mit den
Händen, dann mit Hilfe des Handtuchs, das ich unter den Hahn hielt. Seine Haut war
rot, weniger verbrannt als verätzt und löste sich überall in dünnen Fetzen ab. Hoffentlich
wachte er nicht auf. Er würde brüllen vor Schmerz.
»Wasserstoffperoxid?«, fragte ich die Frisörin.
Sie nickte. »Wenn man es zu konzentriert aufträgt oder zu lange auf
der Kopfhaut lässt, bilden sich Bläschen und die Haare fallen aus. Aber so etwas
habe ich noch nie gesehen! Die müssen ihm das Zeug unverdünnt verabreicht haben.«
Gizem wandte sich ab und rannte zur Toilette.
»Rufen Sie einen Notarzt, Frau Kaiser«, sagte ich.
»Und die Polizei?«
»Die auch. Aber erst in ein paar Minuten. Ich sage Ihnen, wann.«
Sie ging nach vorn. Während sie telefonierte, hielt ich weiterhin Daniels
Kopf und sah mich um. Dass hier eine Schlägerei stattgefunden hatte, stand außer
Zweifel. Aber wer war daran beteiligt? Von Daniels Klassenkameraden fehlte jede
Spur. Und mit wem sollten sich die beiden geprügelt haben? Wer hatte einen derartigen
Hass auf Inez’ Freund, dass er zu solchen Methoden griff?
Und wie hing das alles mit den Schüssen auf Thorsten Schallmo zusammen?
Dass ich in diesem Moment kaum zu logischen Schlussfolgerungen in der
Lage war, wird man verstehen. Daniels Zustand und das heillose Chaos im Laden machten
mich fassungslos. Hoffentlich war Frau Kaiser gut versichert. Eine ganze Menge der
bunten Strähnchen, die gestern noch an der Wand gehangen hatten, lagen nun in allen
Ecken und sorgten für eine bizarre Note innerhalb der Verwüstung. Dann entdeckte
ich auch die Orangensaftflasche aus Freds Imbiss.
Gizem kam zurück, blass und etwas wacklig auf den Beinen. Ihre Chefin
sprach im Vorraum mit den beiden Damen, die offenbar auch mal gucken wollten.
»Wer war das?«, herrschte ich die Türkin an. »Hast du eine Ahnung?«
»Nein!«, gab sie schrill zurück. »Wieso ich?«
»Kann Fikret etwas damit zu tun haben? Oder einer seiner Freunde?«
»Wie soll ich das wissen?«
»Ja, verdammt, du weißt ja nie etwas.« Ich hielt ihr das Handtuch hin.
»Hier, mach mal weiter!« Sie kämpfte mit den Tränen und dem Ekel, übernahm aber
ohne Widerspruch. Breitbeinig stieg ich über das Chaos, um die Flasche vom Boden
aufzuklauben. »Welche Farbe hat denn dieses Wasserstoffperoxid? Gelb?«
»Nein, farblos. Wie Wasser.«
Es sei denn, man verdünnt es mit Orangensaft, dachte ich und öffnete
den Verschluss. Natürlich war das ein unsinniger Gedanke. Warum sollte sich ein
Bleichmittel in Freds Flaschen befinden? Aber Kurts Reaktion ging mir nicht aus
dem Kopf: wie er das Zeug in hohem Bogen ausgespuckt, wie er sich gekrümmt und gewunden
hatte. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem O-Saft! Vorsichtig schnupperte ich an
der halbleeren Flasche. Apfelsine, ja. Aber da war noch mehr. Kein stechender Geruch
wie auf Daniels Kopf, sondern eher alkoholisch … verdammt, es roch gar nicht schlecht!
Es roch eigentlich wie …
»Wodka Orange«, stöhnte ich und nahm einen Schluck. Das war es also,
was sich die Jungs vom College heimlich genehmigten! Und das war es, was meinen
Freund Tischfußball-Kurt ausgeknockt hatte. Verdorbene Ware? Aus Kurts Sicht mochte
das sogar stimmen. Köstlicher Fruchtnektar, mit Wodka verunreinigt! Die Mehrzahl
der Menschheit würde es zwar nicht verunreinigt, sondern verbessert nennen, aufgepeppt,
aber die Mehrzahl der Menschheit ernährte sich ja auch nicht von Saft. Das hatte
er nun davon, mein Kumpel. Einmal Alkohol, und Kurt war reif für die Notfallaufnahme.
Eigentlich zum Lachen.
Doch ich lachte nicht. Ich steckte die Flasche ein und sah mich um.
Vielleicht fanden sich Hinweise auf die Täter. Oder sollten Daniel und sein Freund
in Streit geraten sein? In einen Streit mit solchen Folgen?
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