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Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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erwischte. »Wie war das mit dem Pflaster, Herr Böker?«
    »Dr. Böker«, lächelte er milde. »Wenn ich bitten darf.«
    »Sicher. Hätten Sie nun eins für mich?«
    »Drinnen.« Er schlurfte voraus, ich folgte ihm mit gesenktem Kopf.
Seine Pantoffeln starrten vor Nässe, einmal geriet er ins Stolpern, als er an einem
Stein hängen blieb. Ich konnte nur hoffen, dass dem Rottweiler meine Anwesenheit
durch das Auftauchen Bökers weniger suspekt erschien. Solange er mich nicht erkannt
hatte natürlich. Schallmos Handy ruhte in meiner Jackentasche.
    Während wir uns zur Vorderseite des Hauses bewegten,
brabbelte der Alte unablässig vor sich hin. Ich verstand nur die Hälfte, und auch
die war vermutlich eher für ihn selbst als für mich bestimmt. Der Garten. Das Alter.
Seit dem Tod seiner Frau. Und dann sein Zaun, die bösen Menschen.
    »Tut es sehr weh?«, fragte er mich an der offen
stehenden Haustür.
    »Was? Der Kratzer? Nein, gar nicht. Ein kleines
Pflaster reicht.« Ich atmete auf, als wir endlich das Haus betraten. Böker führte
mich in sein Wohnzimmer, in dem, anders als im Garten, eine gewisse Ordnung herrschte.
Die Bilder an den Wänden hingen schief, auf einem Schreibtisch stapelten sich Bücher
und Zeitungen, in einer Ecke krümelte eine uralte Sonnenblume vor sich hin, aber
wenigstens konnte man sich problemlos durch den Raum bewegen. Hohe Regale rechts
und links waren mit Büchern bestückt. Mit Büchern und Staub, um exakt zu sein. Durch
ein Fenster sah man den Garten und dahinter den Parkplatz. Greiner hatte eben den
Zaun erreicht und fummelte an seiner Brille herum. Ich stellte mich so, dass er
mich auf keinen Fall entdecken würde.
    »Da wären wir«, lächelte der alte Böker. »Von
welcher Firma, sagten Sie, kommen Sie?«
    »Firma? Von gar keiner.«
    Das Lächeln verschwand. »Aber der Zaun! Wollten Sie den nicht reparieren?«
    »Ehrlich gesagt, nein. Ich habe ja gar kein Werkzeug dabei.«
    »Und warum sind Sie dann hier?«
    »Sie wollten mir ein Pflaster geben.« Ich zeigte ihm meinen blutenden
Handrücken. »Was ich übrigens sehr nett von Ihnen finde.«
    »Ah, ja.« Er kratzte sich an seinem bis auf die wenigen Haarsträhnen
kahlen Kopf. »Wissen Sie, wo meine Pflaster sind?«
    »Ich?«
    »Ja. Ich muss es vergessen haben.«
    »Tut mir leid.« Du meine Güte, der Alte war ja wirklich hochgradig
verwirrt. Sah denn niemand nach ihm? Ich linste wieder hinaus in den Garten, wo
der dunkelhaarige Jungkommissar noch immer seine Nase über den kaputten Zaun streckte.
    Böker seufzte. »Seit dem Tod meiner Frau vergesse ich immer mehr. Es
ist schrecklich!«
    »Das geht vielen so.«
    »Sie hat alles geregelt, wissen Sie?« Seine Hand
kam auf einem vergilbten Zeitungsausschnitt zu liegen, der unter der Überschrift
›Die gute Seele des Hasenleiser‹ das Bild einer älteren Dame zeigte. ›Margarete
Böker erlag ihrem Krebsleiden‹, stand darunter.
    »Das tut mir leid«, wiederholte ich. Der Artikel
war 13 Jahre alt! Seit 13 Jahren irrte der Witwer hilflos durchs Leben, jemand trat
seinen Zaun nieder, andere trampelten in seinem Garten herum. Fort von hier!, schrie
es in mir. Aber dazu musste sich erst der Rottweiler zum Rückzug entschließen.
    »Ich war Lehrer«, sagte der Alte, »und wenn ich
nach Hause kam, hatte sie immer alles geregelt.«
    Lehrer – ja, das sah man. Nicht einmal der Nachruf
auf seine Frau war vor Korrekturen sicher. Mit Rotstift hatte Böker – pardon: Dr.
Böker – sämtliche Rechtschreibfehler angestrichen. Schon tat er mir ein bisschen
weniger leid. Vorsicht, Herr Doktor! Seit gestern Abend ist es amtlich: Ihre Berufsgruppe
lebt verdammt gefährlich.
    »Was wollten Sie eigentlich in meinem Garten?«, fragte er mich, und
hinter den Glasbausteinen seiner Brille glomm Hoffnung auf. »Sind Sie wegen des
Zauns hier?«
    »Nein, ich habe nur etwas gesucht.« Gott sei Dank, draußen bekam Greiner
einen Anruf und trollte sich. »Danke für das Pflaster, Herr Böker, aber ich brauche
es nicht mehr. Alles Gute!«
    Damit ließ ich ihn stehen. Er aber hastete hinter mir her, und mit
der Bewegung kam auch sein Gebrabbel wieder in Gang: »Sie wollen schon gehen? Bleiben
Sie doch noch ein bisschen! Ich habe da einen Brief, den jemand für mich einwerfen
müsste. Seit dem Tod meiner Frau, wissen Sie … Wo sie doch alles für mich geregelt
hat!«
    »Ich muss los«, sagte ich, die Klinke der Haustür bereits in der Hand.
    »Wollen Sie nicht noch ein wenig bleiben?« Sein Lächeln ging in

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