Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Namenlose knipste mit rotlackierten Fingernägeln
an ihrer Coladose herum, der Junge knetete seine Unterlippe.
»Ey, das ist doch scheiße«, murmelte er schließlich.
Obwohl es rund um den Schlossblick kein Echo gab, hallte dieser Satz
noch lange nach. Was für ein Vokabular! Und das aus dem Mund eines geleckten Eliteschülers!
Entweder nahm ihn Schallmos Tod mehr mit, als sich seiner ausdruckslosen Miene ablesen
ließ, oder das hitzige Gefecht um den letzten Korbleger hatte sein Sprachzentrum
durchgeschüttelt. Oder, ganz anders: Er fand, es hatte den Falschen getroffen! Brillante
Theorie, Max Koller. Wenn der Blonde dem Imbissbesitzer eine Kugel an den Hals wünschte
– wo wollte er dann in Zukunft seine Sandwiches herbekommen?
»Die ist so was von krank, die Laura«, ließ sich das Mädchen hören.
»Absolute Mattscheibe, diese Frau. Fast zwei Meter lang, aber zimperlich wie ’ne
Konfirmandin.«
Das wurde ja immer interessanter. Am liebsten hätte ich mitgeschrieben.
Erstens: Señora Schallmo-Hure sprach Deutsch wie eine Muttersprachlerin. Na, das
hatte sich ja schon auf dem Sportplatz angedeutet. Zweitens: Anstatt in das Lamento
über das Opfer einzustimmen – mit dem sie immerhin ein Verhältnis gehabt haben sollte
–, zickte die Schöne wegen einer Klassenkameradin rum. Ein Ablenkungsmanöver? Drittens:
Zweimeterweiber sollten nicht Laura heißen. Aber das nur nebenbei.
Denn jetzt ging es an der Durchreiche erst richtig los. Der Blonde
meinte, besagte Laura sei trotz ihrer Körpergröße völlig missachtens- und vernachlässigenswert,
aber völlig, du, da erübrige sich jedes Wort. Die Schwarzhaarige konterte, das sei
wieder typisch, typisch Mann nämlich, schließlich habe er mit der Tussi überhaupt
nichts zu tun, weder basketballtechnisch noch smalltalkmäßig, also sei es für ihn
ein Leichtes, sie zu missachten.
»Stimmt«, sagte der Blonde. »Mit der will ich wirklich nichts zu tun
haben.«
»Aber mir liegt sie ständig in den Ohren mit ihren dämlichen Eltern
und ihren Menstruationsproblemen.«
Auch diesen Worten folgte wieder eine kurze Stille. Warum eigentlich?
Der Junge kaute, das Mädchen blickte sonnenbebrillt finster vor sich hin. Ich aber
freute mich auf die Frage, mit der ich die Gesprächspause beenden würde. Ich kostete
sie regelrecht aus, die Stille! Dann holte ich Luft und formulierte meine Frage.
Sie lautete: »Wer hat eigentlich das Blut vom Schallmo aufgewischt?«
Ja, das war ein gewagter Übergang. In jeder Hinsicht! Eindruck machte
er auch. Die beiden jungen Menschen starrten mich an, um den Blick sofort wieder
abzuwenden. Um sich gegenseitig in die Augen zu schauen zum Beispiel. Oder auf den
Boden, zur Not auch auf das angebissene Sandwich in der Hand des Blonden.
»Tja«, machte Fred. »Irgendeiner wird das schon weggewischt haben.«
»Mit Wasser?«
»Natürlich mit Wasser.«
»Seife auch? Oder was anderes, so eine Speziallauge aus den Polizeilabors?«
»Keine Ahnung.«
»Na ja.« Ich zuckte die Achseln und hob meine Tasse. »Viel Blut war
es ja nicht. Und geregnet hat es auch.«
Fred trocknete wortlos einen Teller ab.
Unsere Gäste hatten diesen Dialog zunehmend irritiert verfolgt.
»Waren Sie dabei?«, fragte mich das Mädchen. »Ich meine, als der Mann
starb?«
Der Mann? Du kannst ihn ruhig beim Namen nennen, deinen Exlover! Okay,
ich entschuldige mich vorauseilend, falls das eine unzutreffende Bezeichnung sein
sollte. Verschieben wir das auf einen späteren Zeitpunkt.
»Ich kam bloß zufällig vorbei«, sagte ich. »Da war er schon tot.«
»Ging es schnell?«
»Mit seinem Tod? Ich denke schon. Kanntet ihr Schallmo?«
»Nö«, antwortete der Blonde und strich seiner Begleiterin mit einer
Hand über das Haar.
»Flüchtig«, murmelte sie.
Zwei neue Kundinnen kamen und brachten unser interessantes Gespräch
zum Erliegen. Fred schenkte Kaffee aus, verteilte Hustenbonbons und Informationen.
Ja, schreckliche Sache, das mit dem ermordeten Lehrer. Nein, aus der Nachbarschaft
war das bestimmt keiner. Obwohl, wenn man bedenkt, wer hier wohnt … Letzteres kam
nicht aus Freds Mund, sondern aus dem seiner Kaffeekundinnen. Es waren aufgeputzte
Seniorinnen mit breiten Schultern und noch breiterem Kurpfälzer Dialekt.
»Komm, gehen wir«, raunte Madame Namenlos ihrem Herzensbuben zu, der
immer noch in ihrem Haar herumwühlte.
Der Blonde nickte. Er steckte sich den letzten Rest seines Sandwiches,
für das er unendlich lange gebraucht hatte, in den Mund und las die
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