Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
passte ihr es nicht, wenn im Theater
Blut und Sperma spritzte. Echtes Blut, brr! Das Telefon läutete erneut, doch ich
hob nicht ab. Nahm mir stattdessen noch einmal Christines Zettel vor. Was um alles
in der Welt wollte meine Ex von mir? Du weißt schon – drei Punkte, drei Ausrufezeichen.
Nichts wusste ich! Es gab keine WM, also auch kein Public Viewing, und wohin sonst
sollten wir zwei gehen? In der Oper waren wir doch schon vor ein paar Jahren gewesen!
Frauen … Während ich den Rest Kaffee schlürfte,
gönnte ich mir ein chauvinistisches Viertelstündchen und fühlte mich anschließend
tatsächlich besser. Vielleicht lag es ja am Kaffee. Den Christine mir gemacht hatte.
Danke, Schatz. Aber was meinst du bloß mit morgen Abend? Ich kam nicht drauf.
Der Brotkasten war leer, auch im Kühlschrank
fehlten einige überlebenswichtige Dinge. Mit einer kleinen Einkaufstour startete
ich in den Tag. Statt der renitenten Lektorin beherrschten schon bald die Protagonisten
von gestern meine Gedanken. Steve und Brutsch, Inez und Daniel. Wirkten die vielleicht
auch übertrieben? Nein, lauter nette Pärchen waren das. Ein Herz und eine Seele.
Befragte man sie einzeln, logen sie dafür, dass sich die Balken bogen. Steve natürlich
nicht, der musste von Berufs wegen immer die Wahrheit sagen. Am hübschesten log
immer noch Inez. Mal sehen, was sie mir heute auftischen würde!
Apropos auftischen. Zur Feier meiner Ermittlungen kaufte ich ein Kilo
spanische Tomaten. Tomaten im März, na ja. Wenn man sie unter Mozzarella versteckte
und in Gewürzöl ertränkte, entging einem vielleicht, dass sie nach nichts schmeckten.
Brot, Butter, Milch, Käse und Wurst – mein Rucksack wurde immer voller. Als ich
ihn an der Kasse öffnete, stieß ich im vorderen Fach auf einen Umschlag. Bökers
Brief! Den hatte ich völlig vergessen. Kam ich auf dem Heimweg an einem Briefkasten
vorbei? Na, ich hatte wirklich Besseres zu tun.
Zum Beispiel Inez eine SMS zu schreiben. ›Schaue
heute Mittag kurz vorbei‹, tippte ich im Gehen ein. Abiturienten hatten doch kaum
noch Unterricht, oder? Und bevor mir im College wieder der maulige Daniel dazwischenfunkte,
schaute ich mir lieber an, wie Señora muchacha amor so wohnte. Welcher Elternteil
aus Spanien stammte und ob noch ein Liebesbrief von Thorsten Schallmo irgendwo herumflog.
Zu Hause blinkte der Anrufbeantworter. Mein Freund
Fatty hatte mir eine Nachricht aus dem finstersten Odenwald zukommen lassen. Irgendwo
zwischen Affolterbach und Falkengesäß gluckte er mit einer Gruppe Heidelberger Erzieherinnen
zusammen, um die neuesten pädagogischen Konzepte durchzukauen. Vier Tage lang, von
Mittwochabend bis Sonntagmorgen, und bezahlt bekam er es auch noch. Fortbildung
nannten sie es; wie ich es nannte, interessierte eh keinen.
»Angeblich eine schöne Gegend hier«, tönte Fattys
Stimme erstaunlich gut gelaunt durch unsere Wohnung. »Leider sieht man vor lauter
Regen nichts davon. Halt die Ohren steif und bleib sauber, Max! Und spar dir die
interessanten Fälle bis zu meiner Rückkehr auf.«
»Das hättest du wohl gern«, knurrte ich und löschte die Nachricht.
16
Wir wohnen nicht in Rohrbach, hatte Inez gestern am Telefon erklärt,
und die Verachtung in ihrer Stimme war unüberhörbar gewesen. Sie empfand es wohl
als Zumutung, sich jeden Morgen in die Heidelberger Suburb aufmachen zu müssen.
Raus aus der heilen Zuhausewelt, und ab in den wilden Süden. Dass sich ihr Fünfsternecollege
aber auch ausgerechnet in Rohrbach befinden musste! Arme Iny.
Mehr vor Mitleid als vor Schweiß triefend, erklomm ich die steile Scheffelstraße
im Wiegetritt. Zu beiden Seiten stapelten sich die Villen. Und was für Villen! Jeder
Tourist kannte sie, denn von der Schlossterrasse aus lagen sie zum Greifen nahe.
Einfach den Blick über die Alte Brücke schweifen lassen, zur nördlichen Neckarseite
hin: ein buntes Spielzeugland aus Edelklitschen. Aber keiner war jemals dort gewesen!
Verbotenes Terrain! Gut, im Hotel zur Hirschgasse quartierten sich zuweilen ein
paar Tagesgäste ein, angelockt durch die Mensurstube und die Verheißung von frischem
Burschenschafterblut. Aber die Zeiten Mark Twains sind längst vorbei, und zur Erkundung
der Umgebung reicht es auch nicht. Man braucht seine Kraft ja für den Anstieg zum
Schloss, für die Hauptstraße und das Anstehen an der Karzerkasse. Und was für die
Touristen galt, traf auch auf die meisten Heidelberger zu. Mich selbst zum Beispiel
hatte es seit meinen seligen
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