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Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Schwänzlein unter dem s.
    Es knackte in der Sprechanlage. »Hallo?«
    »Max Koller, Rohrwaldschule. Bist du das, Fikret?«
    »Sie?«, kam es nach einer Schrecksekunde von oben. »Jetzt?«
    »Ich muss mit dir reden. Machst du mir auf?«
    Ein weiteres Sekündchen Stille, dann summte der Türöffner. Gut erzogen,
der Junge. Ein Aufzug mit höchstens einer Handvoll Graffiti katapultierte mich in
Stock 7. Fikret erwartete mich schon an der Wohnungstür: verschränkte Arme, feindseliger
Blick. Ganz rebellischer Konfirmand eben. Oder wie das bei Muslimen so hieß.
    »Dürfen Sie das überhaupt, zu mir nach Hause kommen?«, empfing er mich.
    »Machst du Witze? Dein Lehrer wird erschossen, und du fragst mich,
ob ich dich besuchen darf? War die Polizei noch nicht bei euch? Glück gehabt, kann
ich da nur sagen. Ich würde schon mal eine Kanne Kaffee für die Herren durchlaufen
lassen. Die bleiben nämlich gerne länger.«
    Er schwieg. Einfach herrlich, was er dabei für finstere Grimassen zog!
14 Jahre, der Kleinste seiner Klasse, aber hier den schwarzen Ritter spielen! Was
hatte Brutsch behauptet? Mit einem Messer in der Hand nahm sich Fikret jeden vor.
In diesem Moment war ich geneigt, dem Glauben zu schenken.
    »Kommen Sie«, sagte er schließlich und ging voran.
    »Sind deine Eltern da?«
    »Mein Vater.«
    »Er kann gern zuhören. Wäre mir sogar recht.«
    Ob es Fikret ebenfalls recht war, behielt er für sich. Er führte mich
in einen Raum, der mit seinen dunklen Eichenholzmöbeln, seinen Teppichen und gerahmten
Bildchen, mit seiner ganzen willenlosen Aufgeräumtheit einem deutschen Spießerwohnzimmer
alle Ehre machte. Natürlich war da kein Kreuz an der Wand, keine betenden Hände,
stattdessen blauweiße Dämonenaugen und eine adrett gefertigte Wasserpfeife aus Kupfer.
Das Aquarell einer Moschee, ein paar Blumen, schwere Vorhänge. Die Luft: dick. Und
ich wollte wetten, dass ich das Tapetenmuster so oder ähnlich schon bei Onkel Herfried
in Landau hatte bestaunen dürfen. Vor 20 Jahren etwa.
    Interessant: Auch der Mann, den ich bei meinem Eintreten am Wohnzimmertisch
sitzen sah, weckte intensive Onkel-Assoziationen. Genauso schwer und grimmig hatte
der Bruder meines Vaters in seinem Lehnstuhl gethront, Augenbrauen und Schnurrbart
struppig gesträubt. »Na, du Schlingel, was haben wir denn heute ausgefressen?« Mit
dem Unterschied, dass das Gebüsch meines Onkels dunkelblond gewesen war und nicht
grauschwarz wie das hier. Dafür saß Fikrets Vater in einem Rollstuhl, Deckchen über
den Knien, während Onkel Herfried seit seinem Jagdunfall bloß gehinkt hatte. Egal,
inzwischen hinkte er nicht mehr, sondern lag brav unter der Erde, weshalb sein Gastauftritt
im Hasenleiser mit diesem Satz ein Ende finden soll.
    Tschüs, Onkel Herfried. Bevor ich auch nur Piep sagen konnte, brach
aus Fikret ein Schwall hektischer Erklärungen hervor, gegen den sich der Mann im
Rollstuhl mit einigen barschen Zwischenrufen zur Wehr setzte. Alles in Ordnung,
beteuerte der Junge, das ist bloß so ein Psychologe, kein Grund zur Beunruhigung,
ich hab alles im Griff, Papa, im Grunde geht es gar nicht um die Schule, bloß der
Schallmo, du weißt ja, den haben sie abgemurkst, aber die Drei in Ethik steht bombensicher.
Ob er es genau so sagte, weiß ich nicht, schließlich sprach er Türkisch, aber irgendwas
in dieser Richtung wird es schon gewesen sein.
    »Bir, iki, üç«, murmelte ich vor mich hin. Ja, zehn Tage Antalya all
inclusive hatten ihre Spuren hinterlassen. Urlaub mit Christine, war schon ein Weilchen
her.
    »Mein Vater.« Fikret deutete auf den Sitzenden.
    »Merhaba«, sagte ich und streckte dem Alten die Hand hin. »Aber das
war’s dann auch mit meinem Türkisch.«
    »Was wollen Sie von Fikret?«, schnarrte er. »Gibt es Ärger mit Schule?«
    Ich zögerte. Nicht weil mich die Frage unvorbereitet traf, sondern
weil die Stimme des Mannes – vor allem jetzt, wo er Deutsch sprach – Erinnerungen
weckte. Erinnerungen an ein Telefonat vor zwei Tagen. Ich wollte einen Besen fressen,
wenn Fikrets Vater nicht derjenige war, der sich unter der Handynummer der anonymen
SMS-Schreiberin gemeldet hatte! Hallo – ja, ja – hallo. Unser toller Beckett-Gedächtnis-Dialog.
    Was natürlich im Umkehrschluss hieß, dass auch er mich als Anrufer
wiedererkennen konnte. Unser Versteckspiel ging also weiter!
    »Ärger?«, erwiderte ich. »Nein. Beziehungsweise doch. Ja, es gibt Ärger
an der Schule, aber Fikret ist nicht direkt betroffen. Ich möchte ihm

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