Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Dr. Pietsch nicht vom Bildschirm wegzudrängen.
»Ist das Programm abgestürzt?«, erkundigte sich mein Journalistenfreund,
der die Stille nicht mehr ertrug.
»Also wenn da nicht Pankreaskarzinom stünde«, entgegnete Sieghard und
fummelte zerstreut an seiner Brille herum.
»Dann?«, fragte ich ungeduldig und mit Nachdruck. Ich war nie gut in
Deutsch, aber dass sein Satz nicht vollständig war, merkte sogar ich.
Er atmete tief ein. Sein Brustkorb unter dem Arztkittel hob sich, bis
die Luft wieder aus Dr. Pietsch entwich. »Dann«, sagte er und widmete mir einen
ernsten Blick, »würde ich sagen, der Dings ist wieder da.«
»Wer?«, machten Marc und ich gleichzeitig.
»Der Dings – wie heißt er noch? Mein Namensgedächtnis!« Dr. Pietsch
kratzte sich am Kopf. »Kairo, Ägypten. Der Staatspräsident von dort unten. Na?«
Wir sahen uns an. »Keine Ahnung, wie der jetzt heißt«, sagte Covet.
»Die politische Lage in Nordafrika ändert sich ja wöchentlich.«
»Nein, der frühere. Den sie nach 30 Jahren endlich abgesägt haben.«
»Kuhstall«, sagte ich.
»Was?«
»Kuhstall auf Ägyptisch. So heißt er.«
Der Finger von Dr. Pietsch richtete sich auf mich. »Exakt. Den meine
ich. Der war doch im März 2010 in Heidelberg.«
»Richtig!«, rief Covet, plötzlich hellwach. »Wegen einer Gallenblasenoperation.
Und halb Ägypten hat Blumensträuße geschickt, ich erinnere mich noch bestens. Bei
uns in der Stadtredaktion sind sie fast durchgedreht vor Anteilnahme.«
»Gallenblase«, nickte der Arzt. »Das ist der Punkt. Hier steht nun
etwas von Pankreaskarzinom. Auf Deutsch Bauchspeicheldrüsenkrebs.« Mit einem Seitenblick
kontrollierte er, ob wir auch nicht heimlich mitlasen. »Aber der Rest stimmt: ein
arabisch klingender Name, das ungefähre Alter des Patienten, der Hinweis auf einen
ersten Besuch 2010, die Behandlung durch den Chef – und natürlich die Unterbringung
auf der Privatstation.«
»Ja, und?« Marc hielt es kaum noch auf seinem Stuhl. »Was steht da
für ein Name?«
Grinsend lehnte sich Dr. Pietsch zurück. »Ein sehr schöner: Halef Omar.«
»Karl May?«
»Karl May. Hadschi Halef Omar ben Hadschi Abul Abbas ibn Hadschi Dawuhd
al Gossarah. Solche Tarnnamen sind üblich, wenn ein VIP ohne größeres Aufsehen behandelt
werden möchte.«
Marc sah ihn verwirrt an. »Das verstehe ich nicht. 2010 kam der Staatspräsident
doch ganz ohne Tarnung. Hochoffiziell, mit Delegation und Pressesprecher.«
Sein Studienfreund kniff ein Auge zusammen. »Könnte es sein, dass sich
die politische Großwetterlage mittlerweile geändert hat? Dass es nach dem Arabischen
Frühling möglicherweise nicht mehr opportun ist, unter dem Klarnamen durch die Welt
zu reisen?«
»War der nicht in Haft, der Typ?«, warf ich ein. »Und vor Gericht sollte
er auch gestellt werden.«
»Haft?« Marc lachte. »In einem ägyptischen Luxuskrankenhaus hatten
sie ihn geparkt. Verhandlungsunfähig bis zum Exitus.«
»Und der könnte bald bevorstehen«, sagte Dr. Pietsch. »Falls die Diagnose
Pankreas stimmt. Nun ist es so, dass schon 2010 gemunkelt wurde, der Mann müsse
mehr haben als bloß ein Problem mit der Gallenblase. Denn das können sie in Ägypten
ebenso gut behandeln wie hier. Heidelberg wiederum hat sich auf Pankreasoperationen
spezialisiert.«
»Na, also«, rief Covet. »Das ist es! Darum wird der Patient so gut
versteckt und bewacht. Politisch ist er erledigt, ein offizieller Klinikaufenthalt
in Deutschland nicht möglich, also kommt er inkognito und mit einer Truppe Bodyguards
im Schlepptau. Halef Omar! Ich krieg die Motten.«
»Aber weshalb wird so einer überhaupt aufgenommen?«, fragte ich. »Für
die Klinik bedeutet das doch vor allem Aufwand, Geheimniskrämerei – und eine miese
Presse, falls die Sache herauskommt.«
»Gelebtes Samaritertum«, flötete Dr. Pietsch. »Dem Manne muss geholfen
werden, krank und gebrechlich, wie er ist. Oder sollte in diesem Fall etwa Geld
eine Rolle spielen? Der schnöde Gott namens Mammon?«
Wir warteten. Aber warten allein reichte nicht. Unser Informant wollte
gebeten werden, sein Wissen mit uns zu teilen.
»Nun erzähl schon«, tat ich ihm schließlich den Gefallen. »Wie funktioniert
das mit dem Geld?«
»Folgendermaßen«, begann Dr. Pietsch und strich zärtlich über sein
langes Kinn. »Bei Normalsterblichen wie uns ist die Sache klar: Da rechnet die Klinik
direkt mit der zuständigen Kasse nach den vorgeschriebenen Sätzen ab. Anders bei
Ausländern.
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