Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Schmerzen
erheben, und griff dabei nach der Spraydose. Dann stürzte ich mich auf den Bodyguard.
Er glotzte in die kleine Sprühöffnung direkt vor seinem Gesicht, wie andere auf
den Fernsehbildschirm starren. Nur kürzer. Das bisschen Nebel brachte den Klops
zu Fall. Während er sich heulend auf dem Zimmerboden wälzte und mit den Füßen um
sich trat, klaubte ich mein Handy von der Decke. Ein Foto des Schlafenden, noch
eines und noch eins. Dann das Zimmer in Panoramaansicht und zuletzt, weil es ein
gar so drolliger Anblick war, eine Aufnahme des jammernden Bodyguards. Was war mein
bisschen Pfefferspray schon gegen das Donnerwetter, das ihm von seinen Bossen drohte!
Der Kranke hatte sich übrigens in all dieser Zeit nicht einmal gerührt.
Fast hätte man meinen können, er sei tot.
Aber jetzt nichts wie weg! Ich steckte das Handy fort, eilte aus dem
Zimmer – und prallte gegen die nächste Leibwächterbrust.
Der Fußwipper, der mit Marc gegangen war! Er gaffte, ich gaffte; dank
meiner jüngsten Erfahrungen war ich jedoch einen Tick reaktionsschneller als er.
Bevor er auch nur Piep sagen konnte, zischte es ihm beißend zwischen den Augen,
und er machte dieselbe Bodenturnübung wie sein Kollege. Nur sein Geheule war noch
prachtvoller. Laut war es, durchdringend, schmerzhaft: der reinste Feueralarm!
Erst hinter der nächsten Ecke, als mir Covet händefuchtelnd entgegenkam,
kapierte ich, dass es tatsächlich Feueralarm war, was durch die Flure gellte. Und
schon wurden Türen aufgerissen, stolperten verschlafene Patienten aus ihren Zimmern,
machten sich die Nachtschichten auf den Weg. Ich winkte Marc, riss die Tür zum Außenbereich
auf und stieß ihn hinaus.
»Er bekam plötzlich eine SMS oder so was«, keuchte mein Journalistenfreund.
»Und als er zurück zum Zimmer rannte, habe ich mich an den Alarm erinnert.«
»Du machst dich«, entgegnete ich. Dann blieb
ich auf der Schwelle stehen. Eines der vorbeihuschenden Gesichter war mir bekannt
vorgekommen. Trotz des Tohuwabohus ringsum.
Dieser Fall wurde immer undurchsichtiger. Was
suchte die Mutter von Fikret und Gizem nachts in der Chirurgie?
28
»Das ist er«, sagte Covet.
»Ist er nicht«, meinte sein Chef.
»Ist er das?«, fragte ich.
Drei Männer, drei Meinungen: die Heilige Dreiuneinigkeit am heiligen
Sonntagmorgen. Ausgelöst durch eine Handvoll Fotos, die den Schreibtisch in Marcs
Büro bedeckten. Er hatte meine Aufnahmen aus Zimmer 015 ausdrucken und vergrößern
lassen, um sie mit Bildern des gestürzten ägyptischen Staatspräsidenten zu vergleichen.
Auf den ersten Blick gab es keinerlei Ähnlichkeiten. Rechts ballte ein kraftstrotzender
Politiker mit tiefschwarzem Haar und funkelnden Augen die Faust, links schlummerte
ein Greis, die Wangen eingefallen, das Haar aschgrau. Rechts der Herrscher vom Nil,
links ein Intensivpatient. Maßanzug versus Baumwollpyjama.
»Tut mir leid, Leute«, sagte Covets Chef und tippte auf eines der Bilder.
»Aber das ist er nicht.«
»Na, dann schau halt mal genau hin, Stefan!«, rief Marc erregt.
Streng genommen, handelte es sich bei diesem Stefan
gar nicht um seinen Chef, sondern um den Ressortleiter Politik der Neckar-Nachrichten.
Aber weil Marcs Story politische Sprengkraft barg und weil die komplette Leitung
der Stadtredaktion gerade zum Häppcheneinwerfen bei irgendeiner Mäzenatenbeweihräucherung
weilte, hatte er sich an ihn gewandt. Stefan war ein drahtiger Typ mit randloser
Brille, kaum älter als Marc. Beim Heidelberger Halbmarathon landete er angeblich
stets unter den besten Hundert.
»Ich schaue ja«, sagte er. »Aber für mich sind das zwei völlig unterschiedliche
Menschen. Der Mann im Bett wiegt doch keine 60 Kilo.«
»Ja, weil er krank ist. Pankreaskarzinom, schon mal gehört?«
»Bekommt man davon auch graue Haare?«
»Nein, die bekommt man vom Älterwerden, Stefan. Und es soll Politiker
geben, die glauben, von gefärbten Haaren ließe sich das Wahlvolk beeindrucken. Deutsche
Kanzler ebenso wie ägyptische Staatschefs.«
Unwillkürlich fuhr sich Stefan über den Kopf.
Keine Sorge, alles noch im grünen – beziehungsweise dunkelblonden – Bereich. »Und
seine Haut?«, sagte er. »Das Gesicht, die Schädelform? Was ist damit? Sieht doch
komplett anders aus.«
»Finde ich nicht.« Covet nahm eines der Fotos,
um es seinem Kollegen unter die Nase zu halten. »Denk dir die Altersflecken weggeschminkt,
die Augen offen und einfach alles besser durchblutet. Dann hast du deinen
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