Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
ersten Mal
in seinem Journalistenleben über seinen Schatten gesprungen, hatte körperlichen
Einsatz gezeigt und die Grenzen des Legalen mutwillig überschritten – und was war
das Ergebnis? Eine Abfuhr, kalt wie eine Hundeschnauze. Fassungslos schüttelte er
den Kopf, dann donnerte er mit der Hand auf den Tisch, dass das Fotopuzzle verrutschte,
und sprang auf.
»Warum schaffst du dir kein gescheites Handy an?«, brüllte er in meine
Richtung, ohne Blickkontakt zu suchen. »Eines, mit dem man gescheite Bilder macht.
Auf denen auch was zu erkennen ist!«
Seufzend nahm ich eines der Fotos zur Hand. Klarer Fall von Ablenkungsmanöver,
diese Schreierei. Besonders scharf waren die Aufnahmen nicht, zugegeben. Aber was
man erkennen sollte, erkannte man. Dass da ein alter, kranker Mann im Bett lag,
den man mit allem Möglichen in Verbindung brachte, nur nicht mit der Führung eines
Staates. Nicht mit ägyptischen Foltergefängnissen, in denen aus Oppositionellen
Al-Qaida-Terroristen wurden. Andererseits: Hieß es nicht, dass das Amt einen Menschen
prägte? Vielleicht auch sein Äußeres? Steck den Alten in einen Anzug, stell ihn
ans Rednerpult oder setz ihn an den Kabinettstisch – ob er dann noch immer so harmlos
wirkte?
»Ich hätte ihm ein Haar ausrupfen sollen«, sagte
ich. »Dann gäbe es wenigstens die Chance auf einen DNA-Abgleich.«
Covet setzte sich wieder. »Stefan«, sagte er heiser
und arbeitete dabei mit den Händen, »es muss doch auch im Interesse der Zeitung
sein, diese Geschichte aufzudecken. Schließlich geht es nicht um einen abstrakten
Fall, bei dem irgendwelche Panzer nach Saudi-Arabien geliefert werden, sondern um
etwas ganz Handfestes. Mitten in unserer Stadt, durch Heidelberger Ärzte, wird ein
Mensch behandelt – und zwar bevorzugt behandelt –, dem Folter, Willkür, Bereicherung
und der Tod von Demonstranten vorzuwerfen sind. Sollen wir da wegsehen?«
»Natürlich nicht.« Der Ressortleiter kratzte
sich hinterm Ohr. »Ich bitte dich sogar, ganz genau hinzusehen, Marc. Du hast meine
volle Rückendeckung, meine eiserne Solidarität. Aber wir brauchen Beweise, stichhaltige
Beweise. Sonst haben wir am Dienstag einen Prozess am Hals, von den fetten Gegendarstellungen
auf Seite eins ganz zu schweigen. Was ich dir noch nicht gesagt habe: Die Klinikleitung
ist hell empört über die Störung der Krankenruhe durch Eindringen in ein Patientenzimmer
und Auslösen des Feueralarms. Sollte sich herausstellen, dass einer unserer Redakteure
daran beteiligt war, wird man sich rechtliche Schritte vorbehalten.«
»Die werden nicht klagen«, fauchte Marc. »Am Ende
stehen sie selbst als die Gelackmeierten da.«
»Sorry, aber jetzt träumst du.«
»Ich könnte alles auf mich nehmen«, schlug ich vor. »Nach dem Motto:
Privater Ermittler, eingeschaltet zwecks Erbringung von Beweisen, benimmt sich wie
der Elefant im Porzellanladen, hat aber für die nötigen Informationen gesorgt. Im
Grunde war es ja so.«
»Abgesehen von den Informationen«, sagte Stefan. »Denn die reichen
nicht aus.«
»Ich muss mit dem Herausgeber sprechen«, stöhnte Covet. »Verdammt,
ich tu’s nicht gern, aber ich muss.«
Stefan verdrehte die Augen. »Was meinst du, wem mein erster Anruf heute
Morgen galt?«
»Und? Was sagt er?«
»Er sieht seine Zeitung den Bach runtergehen, was dachtest du? Überzogen
von Prozessen, im Clinch mit dem größten Arbeitgeber der Stadt, verrufen als Skandalpostille.
Die Montagsausgabe wird er persönlich abnehmen.«
»Scheiße!«, brüllte Covet. »Der hat doch bloß Schiss vor seinen Politikerfreunden!
Und wo bleibt das Recht auf Information?«
»Zum letzten Mal, Marc: nicht ohne Beweise. Wenn du die bringst, sind
wir alle mit im Boot. Dann verfasse ich einen Leitartikel, dass es scheppert.«
»Umso mehr«, warf ich ein, »als uns das Versteckspiel um den Präsidenten
auch ein mögliches Mordmotiv liefern könnte. Ohne in die Einzelheiten zu gehen:
Eine Person, die vor ein paar Tagen erschossen wurde, hat sich ebenfalls für den
Patienten von Zimmer 015 interessiert.«
Stefan schaute mich überrascht an. Bevor er etwas entgegnen konnte,
klopfte es an der Tür. Ein älterer Redakteur kam herein und reichte ihm wortlos
ein Schreiben. Stefan überflog es, dann gab er es an Marc weiter. »Schlechte Nachrichten«,
meinte er. »Aber das war ja zu erwarten.«
Covet schluckte. »Ich könnte kotzen«, flüsterte er. »Gut, dass ich
den nie gewählt habe.«
Der Wisch enthielt eine Stellungnahme des
Weitere Kostenlose Bücher