Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
ich werde nie sein wie sie.
»Bei der Bank wurde mir gekündigt«, sage ich.
Mutti ist still. Jedenfalls für einen kurzen Moment. »Ich bin sprachlos! Wieso denn? Hast du was angestellt? Geld veruntreut? Hat es sich wenigstens gelohnt? Und was wirst du jetzt machen? Hast du schon einen neuen Job? Wovon willst du leben? Sollen wir dich unterstützen?« Trotz ihrer Sprachlosigkeit sind ihr doch noch ganz schön viele Wörter eingefallen.
»Können wir uns treffen?«, frage ich.
»Ja, natürlich«, sagt Mutti. »Lass mich mal überlegen: Heute ist es schlecht, da muss ich zu einem Vortrag vom Dorfemeuerungskomitee. Oder von den Landfrauen? Egal, sind ja eh immer dieselben Leute dort. Morgen habe ich erst einen Friseurtermin, dann muss ich Heike noch ein paar Zeitungsausschnitte vorbei bringen, die Gefriertruhe in der Speisekammer muss abgetaut werden und Unkraut sollte ich auch mal wieder jäten. Die Rhododendren müssen außerdem dringend gegossen werden, aber das kann ja dein Vater machen. Ach, die Polizei wollte mich ja auch noch sprechen.«
»Mutti! Ich will dich jetzt sehen! Schaffst du es, einen klitzekleinen Termin für mich in deinem Kalender zu finden?«
»Ach was, Kalender! Ich hab das alles im Kopf! Das hält geistig fit. Wie Gehirnjogging. Sobald ich die richtige Sportkleidung für mein Gehirn gefunden habe, fange ich damit an.«
»Mutti!« Vielleicht steht sie wegen des Unfalls mit den Bankräubem noch unter Schock? »Wann kann ich dich sehen?«
»Ach, meinetwegen jetzt gleich. Kommst du her?«
»Das geht leider nicht, mein Auto ist abgesoffen.«
»Ach, davon habe ich gehört. Die sollten bei den Landfrauen mal wieder diesen Rückwärts-Einparken-Kurs anbieten. Soll ich zu dir kommen? Gut, dass ich Papas Auto zu Schrott gefahren habe und nicht meinen ... Soll ich eine Isolierkanne mit Kaffee mitbringen? Und etwas Kuchen? Bei Knurres sind gerade Erdbeerschnitten im Angebot.«
»Ja, gerne«, sage ich, weil ich weiß, dass sie sich von solchen Ideen schlecht abbringen lässt. »Aber wir treffen uns nicht bei mir, sondern ...« Ja, wo denn? Das hätte ich mir mal eher überlegen sollen. So richtig flexibel bin ich in der Wahl des Ortes nicht. Ich schaue mich um. Links Musterhäuser, rechts Musterhäuser, alle mit großzügigen Terrassen. Der ideale Platz für ein Picknick. Wenn ich hier schon probewohne, dann kann ich das ja auch gleich richtig machen. Inklusive Familientreffen.
»Kannst du in die Musterhaussiedlung kommen? Wir treffen uns auf dem Parkplatz.«
»Die Musterhaussiedlung?« Meine Mutter klingt für einen Moment erstaunt. »Gut. Ich bin in einer halben Stunde bei dir.«
Genau achtundzwanzig Minuten später parkt sie vor mir ein. Der Kaffee muss schon bereitgestanden haben, und Knurres Lädchen hat neuerdings wahrscheinlich einen Drive-in-Schalter, anders kann ich mir diesen Geschwindigkeitsrekord nicht erklären. Das Einparkmanöver dauert bestimmt genau so lange wie die gesamte Fahrtzeit.
»Ich habe die Autobahn genommen«, jubelt meine Mutter statt einer Begrüßung. Erwähnte ich bereits, dass zwischen der Musterhaussiedlung und unserem Dorf nur ein weiteres Dorf liegt und über die Landstraße, die ziemlich genau der Luftlinie folgt, direkt zu erreichen ist? Der Weg über die Autobahn ist wahrscheinlich doppelt so lang. Meine Mutter hat bestimmt das Navigationssystem mundtot und die größere Entfernung durch atemberaubendes Tempo wettgemacht.
»Toll«, lobe ich, ganz brave Tochter. »Wir setzen uns auf eine der Terrassen hier. Welche gefällt dir am besten?«
Sie holt einen Korb vom Rücksitz, aus dem eine hellbraune Flüssigkeit tropft. Zielstrebig geht sie auf ein Haus mit Südwest-Sitzplatz zu. Wir setzen uns auf die weißen Plastikmöbel und Mutti packt aus. »Huch, der Kuchen ist ja ganz durchweicht! Was ist denn da passiert?«
»Deine Kanne wird ausgelaufen sein.«
»Ach du meine Güte! Schnell, schnell, schnell, bevor hier alles wegschwimmt!«
Sie schlingt eine kaffeegetränkte Erdbeerschnitte hinunter und bedeutet mir mit einer ihrer international gültigen Handbewegungen für »Los, iss schon«, ich solle es genau so machen. Damit ist der gemütliche Teil des Picknicks abgeschlossen.
»Mein Leben, jedenfalls das, was es bisher war, ist im Eimer«, fange ich leicht resigniert an.
»Ach, Schatz, sei doch nicht immer so negativ. In allem Schlechten gibt es auch immer etwas Gutes. Der Ideenkreis junger Landfrauen hatte neulich erst einen sehr interessanten Vortrag
Weitere Kostenlose Bücher