Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
zum Thema Positives Denken. So etwas solltest du dir auch mal anhören.«
»Und du hast anscheinend vorhin am Telefon gar nicht richtig mitbekommen, was ich dir sagen wollte. Also noch mal: Meinen Job bei der Bank macht jetzt ein Geldautomat. Ich wurde wegrationalisiert. Und Heiner werde ich auf keinen Fall heiraten. Im Gegenteil: Ich werde ihn verlassen. Ich habe das alles so satt, das ganze Dorfleben.« So, jetzt ist es raus. Ich atme tief aus.
Ich rechne mit Kritik, Protest, Widerstand. Mit einem hysterischen Anfall, einem ausgefeilten Vortrag zum Thema Was sollen bloß die Nachbarn denken. Mit gut gemeinten Ratschlägen.
Doch stattdessen sagt meine Mutter: »Dein Job war ja auch völlig langweilig. Und ich habe sowieso nie verstanden, was du an Heiner gefunden hast. Der ist ja charmant wie ein Holzklotz. Und jetzt ist er dir auch noch untreu.«
»Du regst dich nicht auf?«, frage ich ungläubig.
»Warum denn? Du bist doch erwachsen. Es ist dein Leben, mach was daraus!« Das hat sie bestimmt aus dem Positives-Denken-Vortrag.
Mutti lächelt mich an. Und dann sagt sie: »Mir ging es mal genau so.«
Jetzt bin ich aber baff. »Erzähl mal!«
»Ich bin, als ich noch ein junges Mädchen war, ein paar Mal mit Edgar ausgegangen, Kalles Onkel. Zum Tanzen und so. Er sah gut aus, konnte reden, reden, reden, hatte aber eigentlich nichts im Kopf. Er galt ein bisschen als Playboy, aber ich dachte, ich hätte ihn gezähmt. Die Verlobung war so gut wie abgemacht. Wir sind sogar schon zusammen in Urlaub gefahren – nach Teneriffa. Doch da hat er mich einfach fallen gelassen und hatte plötzlich nur noch Augen für eine Blondine, die auf Marylin Monroe machte. Ich dachte, die Welt bricht zusammen. Ich bin aus dem Hotel weggelaufen, zum Hafen und habe eine Fähre nach Gomera genommen.«
Ich traue meinen Ohren kaum. »Du bist einfach ...«
»Ich wollte nur noch weg von diesem Mann, ich war so enttäuscht«, erklärt meine Mutter achselzuckend. »Auf Gomera haben mich ein paar Hippies freundlich aufgenommen.«
»Hippies?« Ich kann es nicht glauben.
»Ja, Hippies. Ich habe mir die Haare hennarot gefärbt und hing eine Zeitlang mit ihnen herum, aber das war irgendwie nichts für mich. Immer so lange schlafen! Und dieses ewige Teetrinken, und dann haben die so viel geredet und wollten sich ständig selbst finden. Mir ging deren Gequatsche total auf den Keks. Die waren alle nur eine andere Version von Edgar. Und dann die freie Liebe! Das hätte Edgar auch gefallen. Mir nicht. Am Anfang war es ganz lustig, aber ich kann dir sagen: Eifersucht und Tränen gibt es doch immer.« Ihr Blick wandert in die Ferne. »Eines Tages traf ich am Strand deinen Vater. Er war so anders, als die anderen. So still. Das hat mir gefallen. Ich habe mich sofort in ihn verliebt. Es hat Wochen gedauert, bis ich herausgefunden habe, dass er aus dem Nachbardorf kommt. Er hat schon damals, als ich noch mit Edgar gegangen bin, ein Auge auf mich geworfen. Als Edgar damals ohne mich nach hause kam, fiel das natürlich auf. Da hat sich mein Vater auf die Suche nach mir gemacht.«
»Woher ... woher wusste er denn, wo er dich suchen sollte?«
»So ganz schwer war ich natürlich nicht zu finden«, schränkte Mutti lächelnd ein. »Ich habe deiner Großmutter natürlich regelmäßig Postkarten geschrieben, damit sie sich keine Sorgen macht. Aber er hat mich gesucht! Er hat sich um mich bemüht. Gemeinsam sind wir dann zurückgekehrt und haben das Haus gebaut, und dann wurdest du geboren.«
»Das hast du alles gemacht?« Ich schaue meine Mutter an, fassungslos, begeistert, ein bisschen misstrauisch. »Und das ist nicht nur eine von deinen Geschichten?«
»Ach Silke ...« Sie lächelt mich an und greift nach meiner Hand. »Ich finde, es ist wichtig, dass man erst etwas erlebt, bevor man heiratet. Du solltest auch wegfahren. Das tut dir bestimmt gut.«
»Wieso hast du denn nie darüber gesprochen, was du alles erlebt hast?«
»Warum sollte ich? Es gibt doch genug Aktuelles zu besprechen, Kind. Und ich dachte nicht, dass du dich für unsere alten Urlaubserinnerungen interessierst. Du hast dir ja noch nicht mal unser neuestes Urlaubsvideo von Madeira angesehen.«
»Das ist doch etwas ganz anderes!«
»Ich glaube«, sagt meine Mutter nachdenklich, »ich habe die Geschichte für mich behalten, weil ich nicht wollte, dass du das Gefühl hast, dass mein Leben spannender ist als deins.«
Ach. Aber genau dieses Gefühl hatte ich ja schon immer. Jetzt weiß ich
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