Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
wenigstens, woran das liegt.
»Ich wollte nicht sein wie diese ganzen Eltern, die ihre Kinder in die eigenen Fußstapfen zwingen. Die ihnen den Gas- und Wasser-Installationsbetrieb als ihr Lebenswerk aufdrücken, das unbedingt weitergeführt werden muss. Die ihre Kinder zu Tenniserfolgen treiben, zu denen ihnen das Talent gefehlt hat«, hebt meine Mutter zu einem ihrer großen Monologe an.
Ich denke, dass sie mich wirklich noch nie zu etwas gezwungen hat, außer vielleicht zum Haarebürsten.
»Ich wollte, dass du dein eigenes Leben lebst – und nicht versuchst, ein anderes zu kopieren. Außerdem habe ich immer gedacht, du bist glücklich. Ich dachte, du willst so leben.«
»Das dachte ich auch immer«, gebe ich kleinlaut zu. »Aber ich habe mich wohl geirrt. Und jetzt habe ich Angst, dass ich keine andere Möglichkeit habe.«
Mutti schüttelt vehement den Kopf. »Nein, Silke. Du musst nicht im Dorf bleiben. Du solltest etwas von der Welt sehen! Dein Vater und ich, wir fühlen uns wohl im Dorf, in unserem Haus, im Garten. Ich glaube, uns würde etwas fehlen, wenn wir im Sommer nicht Schnecken jagen könnten. Aber wir wissen ja auch: Wir können jederzeit weg. Ausbrechen, alles anders machen. Wir haben uns bewusst für den Ort, an dem wir leben, entschieden. Wir haben uns das so ausgesucht. Aber du – ich glaube, du bist nur aus Bequemlichkeit hier geblieben. Oder dachtest du, dass das jemand von dir erwartet?«
»Willst du mich verscheuchen?«, frage ich meine Mutter. Ein bisschen klingt das so, finde ich.
»Nein, Silke, du darfst mich nicht falsch verstehen: Ich fand das toll, dass du immer in unserer Nähe warst. Aber der Job bei der Bank – war das nicht immer ein bisschen öde? Du konntest doch auch noch nie besonders gut mit Zahlen umgehen. Und Heiner, naja, ich dachte, wo die Liebe hinfällt ... aber mein Typ wäre er nicht gewesen. Außerdem sieht es sehr eigenartig aus, wenn er isst.«
Ach, ich dachte nicht, dass das außer mir noch jemand bemerkt hat. Man darf meine Mutter wirklich nicht unterschätzen. Aber seltsam, dass sie von allem, was mein Leben ausgemacht hat, schon in der Vergangenheit spricht, als würden wir hier längst vergilbte Fotos ansehen.
»Es wird wirklich Zeit, dass du mal zu Potte kommst. Denk doch mal nach: Wie stellst du dir deine Zukunft vor? Sitz nicht einfach da und halte Maulaffen feil, während dein Leben an dir vorbeizieht und sich die anderen amüsieren! Geh raus in die Welt und erlebe was. Sei wild! Aber wenn ich dich so ansehe ... ich glaube, du hast schon damit angefangen!«
Ich bin baff. Das hatte ich nicht erwartet. Meine Mutter war ein heißer Feger? Okay, ich hatte schon immer geahnt, dass ihr Leben aufregender ist als meines. Aber gleich so aufregend? Und dann noch dieser moralische Schlenker. Gerührt wische ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel.
»Du warst ja früher richtig wild!«, sage ich schnell, um zu Überspielen, wie nah ich am Wasser gebaut habe.
»Was heißt hier früher? Ich werde dir helfen! Ich bin immer noch wild! Ich bin noch nicht alt und ausgelutscht!« Sie wirft ihre inzwischen auch fast Monroe-blonden Haare nach hinten. »Dein Vater hat das nicht so gerne, wenn ich das erzähle. Es gab einen ziemlichen Skandal damals, als wir zusammen zurückkamen. In wilder Ehe, und Papa langhaarig.«
»Papa hatte lange Haare?«
»Ja, das habe ich ihm ganz schnell wieder ausgeredet. Man muss einen Mann finden, der auf einen hört. Die wichtigsten Waffen einer Frau sind die Sprache und ein gepflegtes Äußeres. Wir haben doch hier neulich diesen Hausverkäufer gesehen, der so viel Ähnlichkeit mit diesem kleinen Schauspieler hat, du weißt schon. Das wäre doch einer für dich!«
»Der ist schwul.«
»Ach? So sieht der aber gar nicht aus! Hatte gar keine Federboa an.«
»Er ist ja auch kein Transvestit, sondern schwul.«
»Bist du ganz sicher? Das kann der doch noch gar nicht so genau wissen. So ein netter junger Mann ... Aber wenn du schon keinen neuen Mann hast, brauchst du wenigstens einen Job. Was willst du denn jetzt machen?«
»Keine Ahnung.«
»Und wo willst du hin? Bei Heiner kannst du ja nicht mehr wohnen. Brauchst du erst mal dein altes Zimmer wieder? Ich kann die Bügelsachen schnell rausräumen.«
»Nein, danke. Ich werde ein paar Tage in einer ... ähmmm ... Wellnessanlage verbringen.«
»Da warst du doch gerade erst.«
»Genau. Und da gehe ich wieder hin.«
»Ist das nicht zu teuer?«
Das hatte ich gar nicht bedacht. Ȁhm,
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