Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
gesprächig. Dieser hier ist anders.
Trotzdem weiß ich nicht, was ich antworten soll. Diese Frage löscht den Inhalt meines Gehirns sofort. Zurück bleibt ein frisch gebohnertes Nichts, flusen- und gedankenfrei wie Beinahe-Schwiegermutters Zinnbechersammlung.
»Dass ich keine Wandteller mag«, antworte ich völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Meine neue Freiheit bekommt mir anscheinend so wenig wie einer Dreijährigen die freie Auswahl im Gummibärchenparadies.
»Dann sind wir ja in diesem Haus ganz richtig«, sagt Olaf, kein bisschen irritiert. Unser Domizil du Jour ist eine Glas-Holzbalken-Konstruktion aus den siebziger Jahren. Es gibt fast keine Wände, nur Fenster, auch innen ist alles offen. Ein perfektes Haus für zwanglose Exhibitionisten und Menschen ohne Möbel. Außer einem Tisch, ein paar Stühlen und einem niedrigen Sofa kann man im Wohnbereich nichts stellen. Regale? Wohin denn? Im Obergeschoss gibt es ein Abstellkämmerchen, das muss sämtliche Sehnsucht nach Schrankraum befriedigen. Für den Inhalt meiner Tüten reicht das gerade. Aber ich will hier ja auch nicht einziehen. Geschlafen wird auf einem Hochbett; ob ich das nach dem Rotwein, der den Hirschen begleitet, noch erklimmen kann, wird sich zeigen. Vielleicht ist der Wunsch nach Stauraum spießig? Etwas, dass ich in meinem neuen Leben hinter mir lassen muss?
»In Schränken bewahre ich einen wesentlichen Teil meiner Persönlichkeit auf«, ergänzt Olaf meine Gedanken, die ich anscheinend laut ausgesprochen habe. »Den Teil, den ich gerade nicht am Körper trage. Zum Beispiel meine Wintergarderobe.«
»Demnach trage ich wesentliche Teile meiner Persönlichkeit in Aldi -Tüten mit mir herum. Was sagt das über mich aus?«
»Ups, Entschuldigung, ich vergaß, das du ja quasi mittellos bist. Aber das wird sich ja am Sonnabend ändern, wenn du bei der großen Fertighaus-Verlosung den Hauptgewinn bekommst – den du dir leider mit deinem Spielpartner, dem lieben Heiner, teilen musst. Ihr seid nämlich angemeldet.«
»Das kann nicht sein! Ich werde auf keinen Fall mit Heiner zusammen ein Haus gewinnen!«
»Wieso nicht? Ihr könnt es doch verkaufen. Oder du lässt dich auszahlen.«
»Das würden Heiners Eltern nie zulassen. Ich weiß: Wenn es dieses Haus gibt, wird man mich zwingen, mit einzuziehen. Ich werde schwach werden, werde wieder in mein altes Leben zurückfallen wie damals im Sportunterricht vom Schwebebalken auf die Turnmatte. Das darf nicht passieren! Ich werde mein Leben ändern!« Der Rotwein lässt mich flammende Reden halten. Aber es stimmt: Jetzt wird alles neu. Ich bin zu einem radikalen Schnitt bereit. Ich werde machtvoll die Fesseln der Vergangenheit sprengen, die mich einschnüren wie einst der String meinen unperfekten Hintern.
Olaf stimmt ein. Auch er will, dass alles anders wird, er will ein neues Leben, keine Geheimnisse mehr, eine bessere Welt und ein Zeichen setzen – eben alles, was man so will, wenn die Verdauungsorgane sämtliches Blut aus dem Gehirn abziehen und interessante chemische Verbindungen, gemeinhin auch Alkohol genannt, das Denken übernehmen
»Es ist wie ein Rausch. Nein: Es ist ein Rausch!« ereifert sich Olaf treffsicher. Ja, was denn auch sonst? Wir machen sofort eine Liste was wir alles in unserem Leben ändern wollen, denn das wird einem schließlich immer in den Frauenzeitschriften geraten. Auf meiner Liste steht:
Heiner verlassen
Nie wieder Strings tragen
Weniger Schokolade essen
Mehr Gedanken über die Zukunft machen
Überhaupt mehr Gedanken machen (über alles)
Mal wegfahren
Weniger auf Mutti hören
Wohnung & Job suchen
Ich streiche suchen durch und ersetze es durch finden, denn das klingt optimistischer. Die Liste ist trotzdem nicht so geworden wie in den Frauenzeitschriften. »Seien sie konkret!«, heißt es dort immer in harschem Befehlston, »Benennen Sie genau, was Sie wollen!« Wörter wie weniger oder mehr dürften gar nicht vorkommen. Da lese ich schon mein ganzes Leben lang diese Illustrierten und habe immer noch nicht verstanden, was sie mir eigentlich sagen wollen!
Ich schiele rüber auf Olafs Liste. Da steht:
Alles
Ich bin baff. Das ist ja völlig gegen alle Regeln! Total unkonkret! Wie soll das denn funktionieren?
»Und womit willst du anfangen?«, frage ich ihn. Das ist natürlich eine Fangfrage.
»Mit Punkt eins«, antwortet er souverän. »Immer der Reihe nach.«
Ich will ihm gerade einen Vortrag halten, dass er mit seiner Liste gegen alle Regeln für Listen
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