Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
»Canasta spielen« gelten, habe ich auch immer mit meiner Oma gemacht. Und »Dörrobst zubereiten« hieße nicht, Äpfel in der Obstschale vertrocknen zu lassen. Dass Brigitte auch immer alles so genau nehmen muss! Ich hatte mir vorgenommen, meine Liste irgendwann zu vervollständigen, aber ich weiß nicht mehr, wo ich sie hingelegt habe.
Brigitte hat sich übrigens die Freiheit genommen, ihre Liste nicht der Reihe nach abzuarbeiten, sondern kreuz und quer. »Warum sollte ich mir ein vorgefertigtes System aufzwingen?«, ist ihre Erklärung für diese Sprunghaftigkeit. Sonst nimmt sie das mit der Liste aber sehr genau: Ungefähr zwei Drittel aller Aktivitäten sind inzwischen mit einem sauberen, weinroten Häkchen als erledigt markiert. Ich staune, was sie alles gemacht hat.
Und plötzlich weiß ich es: Brigitte wird fortgehen. Weg aus dem Dorf. Und zwar nicht erst »irgendwann«, zu einem absolut unbestimmten, fernen Zeitpunkt, wie ich mir immer einrede. Wenn sie diese Liste erledigt hat, kommt der Weinberg. Das heißt, der kommt natürlich nicht zu ihr, sondern sie geht zum Berg. Wer weiß, wohin. Und ich werde hier zurückbleiben. Ohne Freundin. Ohne Job. Ohne Verlobten. Ohne Perspektive. Das war mir vorher noch nie so klar. Ich heule ein bisschen. Zu recht, wie ich finde.
»Hey«, sagt Brigitte und lässt sich neben mir auf das Sofa fallen, »hast du einen guten Grund zum Heulen?«
»Mehrere«, schniefe ich, erleichtert, dass sie endlich da ist.
Brigitte reicht mir eine Packung Taschentücher, holt einen angefangenen Häkelspekulatius samt Originalvorlage aus der Schublade und fordert mich auf: »Erzähl mal!«
»Ich bin meinen Job los.«
»Scheiße. Warum das denn?«
»Sie haben jetzt einen Geldautomaten. Der kann das wahrscheinlich besser.«
»Bestimmt. Und er passt farblich garantiert besser zum Teppich.«
Mir gelingt ein schlappes Grinsen. »Und Heiner geht fremd.«
»Mit dem Geldautomaten?«
»Mit Monique.«
»Nein!« Brigittes Mund bleibt offen. Sie glaubt mir nicht. Warum auch? Das ganze ist einfach zu absurd.
»Doch. Ich habe beide gesehen. Im Laub in meinem Wäldchen. Monique trug nur noch einen String, den man mit der Hand waschen muss.«
»Interessant, worauf du alles achtest.«
»Das war irgendwie nicht zu übersehen.« Ich muss wieder heulen.
»Heiner ist ein echter Drecksack«, stellt Brigitte zwei Taschentücher später fest. »Und Monique konnte ich noch nie leiden. Die passen ganz gut zusammen.«
Ich schluchze auf.
»Entschuldigung. So war das nicht gemeint. Da hat der Idiot zuhause die tollste Frau, die man sich denken kann, und er macht sich an diese intrigante Lockenstümperin heran. Silke, du hast was Besseres verdient.«
»Es gibt nichts besseres«, behaupte ich schwach und greife nach dem letzten Dominostein.
»Nichts Besseres als Heiner? Nichts Besseres als diesen langweiligen, unkommunikativen, humorlosen, schlaffen, unattraktiven, uncharmanten Blödmann? Ist das dein Ernst?« Sie funkelt mich an. »Ich hatte das Gefühl, dass es in letzter Zeit sowieso nicht mehr so prickelnd zwischen euch läuft. Deshalb schien mir die Idee mit dem Hausbau auch so unpassend. Habe ich mich da getäuscht?«
Nein. Sie hat sich nicht getäuscht. Sie hat alles durchschaut. Trotzdem will ich es noch nicht wahrhaben. »Aber es war doch gerade alles so ... schön.« Das Wort hört sich falsch an, kaum dass ich es ausgesprochen habe.
»Wenn du schön durch bequem ersetzt, dann stimmt der Satz.« Brigitte ist knallhart. Und ehrlich. Ehrlicher als ich selbst zu mir.
Ich muss endlich zugeben: »Doch, ich kann mir etwas Besseres vorstellen. Nicht wirklich vorstellen, nein, das wäre zuviel. Aber ich habe da so eine Ahnung. Und es ist wahr, so toll lief es mit uns schon lange nicht mehr. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wie es war, in Heiner verliebt zu sein.« Ich schniefe einmal versuchsweise, aber ich merke, dass keine Tränen mehr kommen. Stattdessen kann ich nicht mehr aufhören zu reden. »Ich frage mich sogar, ob ich überhaupt jemals in ihn verliebt war. Das muss ja wohl so gewesen sein, irgendwann, doch allein der Gedanke kommt mir inzwischen irgendwie fremd vor. Aber ich dachte, das ist eben so. Ich dachte, dass das Leben mit ihm einfach so weiter gehen kann, und dass das schon richtig so ist. Es hat einfach ... gepasst.«
»Und jetzt passt es nicht mehr?«
»Genau. Mein Leben ist ein Trümmerhaufen. Ich habe keinen Job mehr, ich habe keinen Verlobten mehr, und
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