Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
Männer fühlen sich zwar als Boss, sonst würde ihre Eitelkeit Schaden nehmen, aber die Frauen treffen die Entscheidungen. Alle Frauen außer ich, versteht sich.
Meinen Vater gibt es aber nicht einzeln. Meine Mutter schon, aber er macht nie etwas Privates alleine. Eigentlich weiß ich gar nicht, was er überhaupt so macht, neben seinem Job als Bauingenieur. Wahrscheinlich füllt er seine Freizeit damit, sich Schlachtpläne gegen die Maulwürfe auszudenken. Und meiner Mutter zuzuhören. Das kann sehr zeitraubend sein.
Eigentlich kenne ich meinen Vater gar nicht gut. Komisch, schließlich war er immer da. Physisch jedenfalls. Und dabei gleichzeitig irgendwie abwesend. Seltsame Gedanken, sie scheinen noch sehr von meinem Nahtoderlebnis in der Badewanne geprägt zu sein.
Ich glaube, ich werde einfach allein zum Feuerwehrball gehen. Auch eine Möglichkeit. Und sicher nicht die schlechteste, sondern die einfachste. Ich muss nur aufpassen, dass es nicht so wirkt, als hätte mich jemand versetzt. Und zu gewollt natürlich auch nicht.
Die Wahl des Zeitpunktes ist wichtig, das weiß ich aus den Gesellschaftsgazetten. Nicht zu früh und nicht zu spät. Am besten, wenn ungefähr zwei Drittel der Gäste anwesend sind. Und wann ist das? Um halb neun? Ja, das ist eine gute Zeit. Dann sieht es so aus, als hätte ich vorher noch Tagesschau geguckt. Das muss ich dann aber auch wirklich machen, falls jemand mich in ein weltpolitisch niveauvolles Gespräch verwickelt. Dabei kann ich mir diese Details über Anschläge im Irak und Unruhen im Gaza-Streifen nie merken. Manchmal kommt es mir so vor, als würden wochenlang die gleichen Nachrichten ausgestrahlt, nur die Wettervorhersage ist jedes Mal neu, deshalb fällt das niemandem auf.
Noch zwei Stunden. Ich ziehe den String an.
Noch eineinhalb Stunden. Ich ziehe das Kleid an.
Noch eine Stunde. Ich ziehe die Schuhe an.
Ja, vielleicht hätte es sexier ausgesehen, wenn ich erst die Schuhe, dann den String und dann das Kleid angezogen hätte. Aber schließlich mache ich das hier ausschließlich zu meinem Vergnügen. Und die Zeit habe ich ganz gut rumgekriegt. Niemand kann sich so langsam bewegen wie ich!
Eine Drei-Wetter-Taft-Haarspray-Old-Spice-Aftershave-Wolke wabert die Treppe hinauf. Heiners Eltern verlassen das Haus.
Tagesschau. Tornados zerstören die Innenstadt von Duisburg. Ich war noch nie in Duisburg. Das Wetter. Und los.
Es hat aufgehört zu regnen. Die Luft riecht gleichzeitig frisch und modrig. Als wäre etwas sehr Altes neu erschaffen worden. So weich und einladend und gleichzeitig geheimnisvoll. Nach einem köstlichen, fremden Pilzgericht. Vielleicht auch nach Sex – wenn ich noch wüsste, wie der riecht. Ich wünsche mir Herrn Wesseltöft als Begleiter. Mit ihm würde der Abend Spaß machen. Und wenn dann auch noch Brigitte hier wäre! Mein Mobiltelefon piept. Eine SMS von ihr, wie immer genau zur richtigen Zeit: Halt die Ohren steif, Ballkönigin! Ich denke an Dich! Trinke gerade Wein aus Südafrika. Lass die Finger von Heiner! Kuss, B.
Jaja, die hat leicht reden. Hat ja ihren Wolfgang. Ein charmanter Mann. Mit Humor. Gutaussehend. Und so wohlerzogen! Er holt sogar immer die Haare aus dem Duschabfluss, ohne zu murren oder auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Dabei handelt es sich größtenteils um ihre Haare. Sie hat mir mal erzählt, dass sie das sehr beeindruckt. Mich auch. So muss ein Mann sein. Sie hat ihn wirklich verdient. Nur: Mich bringt das auch nicht weiter.
Der weite Rock schwingt anmutig um meine Beine, auf den hohen Schuhen gehe ich so grazil wie Nicole Kidman, nur dieser String, der schneidet wie Zahnseide zwischen meine Pobacken. Teilt sie unbarmherzig, trennt sie wie die Mauer einst Deutschland. Ich versuche mir einzureden, dass sei normal, ich werde mich daran gewöhnen, der Schmerz lässt gleich nach. Der Weg ist nicht weit, nur knapp ein Kilometer. Ich werde ja wohl nicht so albern sein und vor einem Stück Stoff, dass Frauen wie Monique ohne mit der Wimper zu zucken tragen, kapitulieren! Was die kann, das kann ich schon lange.
Neben dem Feuerwehrhaus ist ein großes weißes Zelt aufgebaut, das Festzelt. Davor stehen ein paar Buden. Um die beiden, in denen Bier verkauft wird, sammeln sich Menschengrüppchen. Aus der Bratwurstbude quillt dichter Qualm. Die zwei tristen Matjesbrötchen in der Fischbude werden von vier Neonröhren ausgeleuchtet, in dessen Schein die beiden Verkäufer mit ihren Fischbrötchengreifzangen vor lauter Langeweile
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