Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
muss ich durch die Matschgrube, und es wartet kein neuer Kavalier auf mich. Was hätte ich dem auch erzählen sollen: Trag mich bitte zum Dixie-Klo, damit ich mein Höschen ausziehen kann ? Das würde doch selbst der distinguierteste Gentleman für eine unmissverständliche Aufforderung zum Vollkontakt halten. Abgesehen davon, dass es hier gar keine distinguierten Gentleman gibt, sondern nur ganz normale Männer. Und vielleicht noch ein paar notgeile Böcke.
Ich patsche todesmutig durch die feuchte Pampe, und mir ist, als hätte ich keinen festen Boden unter den Füßen. Seltsamerweise fühle ich mich noch immer so, als ich schon längst wieder auf dem gepflasterten Weg bin. Das muss also eher was mit mir zu tun haben als mit der Beschaffenheit des Untergrundes.
Die Dixie-Klos stehen in diesem Jahr nicht dort, wo sie in den letzten hundert Jahren immer standen. Das verwirrt mich. Ich sehe mich um – nichts Blaues in der Nähe. Stöhnend mache ich mich auf die Suche. Vorsichtig, denn jeder Schritt schmerzt, als wäre ich die Assistentin eines Zauberers, der eine neue Variante des Zersägte-Jungfrau-Tricks ausprobiert, aber leider die Gebrauchsanweisung nicht genau gelesen hat.
Ich stöckele mit Minimalbewegungen über den Spielplatz hinter dem Feuerwehrhaus und durchs Gebüsch. Dort höre ich erst albernes Kichern, dann eine Männerstimme. Rascheln. Ich kann mir nicht helfen, irgendwie kommt mir die Situation bekannt vor. Bin ich dazu verflucht, jedes Mal, wenn ich mich etwas Belaubtem auch nur nähere, etwas zu sehen, was ich lieber nicht sehen möchte? Werden Büsche zu meiner Kristallkugel?
Ich pirsche mich weiter heran. Meinem Schicksal kann ich ja eh nicht entgehen, warum sollte ich also anderen ihre Heimlichkeiten gönnen? Wahrscheinlich sind es eh nur ein paar knutschende Teenager. Ich habe das ja damals nie gemacht: im Gebüsch geknutscht. Allerdings eher mangels Gelegenheit. Fehlender Knutschpartner.
Jetzt erkenne ich die Stimme von Monique. Steckt die Schlampe denn in jeder Hecke? Kann die sich nicht ganz normal in der Öffentlichkeit bewegen oder einfach zuhause bleiben? Das ist ja fast, als würde sie es provozieren, von mir aufgespürt zu werden! Sehen kann ich sie leider nicht, aber dieser affektierte Ton ist unverkennbar. Sie klingt ungeduldig, fordernd.
»Und wann können wir anfangen?«, herrscht sie ihren Gesprächspartner an. Diesmal ist es nicht Heiner, sondern der Bürgermeister, Markenzeichen: sonore Stimme. Er versucht, sie zu beschwichtigen.
»Immer mit der Ruhe. Es ist alles in die Wege geleitet. Aber so schnell geht das nicht. Du hast ja gar keine Ahnung, um was sich ein Bürgermeister alles kümmern muss. Um jede Straße, die ausgebessert wird. Um die neue Kanalisation. Und wenn Enten auf dem Badeteich schwimmen, dann muss ich mich auch darum kümmern. Die könnten ja auf eine der Bänke kacken.«
»Dein Entendreck interessiert mich nicht«, zischt Monique. »Ich will mein Aerobic-Center. Ich will die Baugenehmigung!«
»Hast du das Grundstück überhaupt schon gekauft?«
»Das lass mal meine Sorge sein. Ich arbeite daran und mache gute Fortschritte, mein kleiner Schnurzelpurzel.« Moniques Stimme ist wieder ins Säuselige abgedriftet. Hat sie den Bürgermeister eben wirklich Schnurzelpurzel genannt?
»Du sollst doch nicht immer Schnurzelpurzel zu mir sagen, du ungezogenes Mausispatzi.« Ein klatschendes Geräusch lässt darauf schließen, dass Schnurzelpurzel mit seiner flachen Hand Mausispatzis ungezogenen Hintern tätschelt.
Okay, die stecken unter einer Decke. Nicht, dass das eine besonders neue Information für mich wäre. Aber manche Dinge glaube ich ja erst, wenn ich sie selbst höre. Und damit meine ich nicht die haarsträubenden Kosenamen. Wie sie wohl Heiner nennt? Bestimmt genauso, ich glaube nämlich nicht, dass ihre Gehirnzellen genug Kapazität für zwei so lange Wörter haben. Politischen Einfluss scheint sie dafür umso mehr zu haben. Mir ist klar: Wenn der Bürgermeister es schafft, den Bebauungsplan so zu ändern, dass meine Wiese als Sportfläche ausgewiesen wird, dann muss ich sie hergeben. Dann wird der Druck auf mich von allen Seiten so groß werden, bis ich eingeknickt bin und das Aerobic-Center gebaut werden kann. Der gesellschaftliche Druck: Landfrauen, Feuerwehr, alle Kaufleute, alle Frauen, die ich im Dorf kenne, Seniorenvolkstanzverein, Typberatungskreis, selbst meine eigene Mutter. Dann muss ich sie verpachten, hundert Jahre lang, für eine
Weitere Kostenlose Bücher