Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
aufhalten könnte. Mal ein bisschen in der Küche abspülen wäre nicht schlecht. Eine verwegene Vorstellung: Ich aale mich im Schönheitsbad, während der Göttergatte gutgelaunt die Hausarbeit erledigt. Das kommt ja selbst im Fernsehen nur selten vor. Diese ganzen Soaps zeichnen sich zwar nicht gerade durch Realitätsnähe aus, aber so märchenhaft sind sie nun auf wieder nicht.
An der Tür wird wieder gerüttelt, und von der anderen Seite grunzt Heiner: »Ich muss scheißen!«
Mein wohliges Wellnessbeautygefühl inklusive hauswirtschaftendem Märchenprinzen verpufft bei diesen groben Worten. Hatte Heiner je Feingefühl? Lohnt es sich überhaupt, dass ich mich für ihn hübsch mache?
»Weiber«, grummelt der Neandertaler vor der Tür und poltert dann die Treppe hinunter. Genau, denke ich, geh zu Mami, leg das Ei bei deinen Eltern. Auch bezeichnend, dass er von Frauen im Plural spricht. Mehr als eine, das ist für ihn anscheinend Normalzustand. Weiß er eigentlich, wie lange Monique morgens im Bad braucht? Ich schätze mal, ihr Geschwindigkeitsrekord liegt bei ungefähr fünfundneunzig Minuten ohne Haare waschen. Da wird er sich noch wundern, der Heiner.
Endlich lasse ich mich in das doch etwas sehr leuchtend blaue Wasser gleiten. Die diversen Cremes, Masken und Packungen lösen sich von mir und treiben als schillernder Film an der Oberfläche. Man könnte meinen, ich sei in eine Ölpest geraten. Flügellahm sinke ich nach hinten und atme den Lavendelduft ein. Oder war es Rosmarin? Orange? Nelke? Bohnenkraut? Ich habe so viele verschiedene Ingredienzien ins Wasser gekippt, dass ich nicht mehr mit Sicherheit sagen kann, welche olfaktorischen Reize ich genieße. Egal, was es ist, es wirkt auf jeden Fall ungeheuer einschläfernd. Ich schließe meine Augen für einen kurzen Moment und bemühe mich, das Gesicht ganz locker zu lassen, denn ich habe gelesen, dass man damit Faltenbildung vorbeugen kann. Ich frage mich, wie das wohl aussieht. So lässig, als bekäme ich in meinem Haus in Marbella gerade die neueste Ayurvedamassage verpasst – oder eher, als käme ich vom Zahnarzt und die Betäubung hätte noch nicht nachgelassen? Die Frauen in den Hochglanzmagazinen sehen alle so aus, als würden sie nie auf solche Tricks zurückgreifen müssen, weil sie einfach nicht genug Hautmaterial übrig haben, um überhaupt Falten zu bilden. Das würden sie allerdings nie zugeben, sie sagen einfach: »Ich habe gute Gene.« Das ist schwer zu überprüfen, weil man ja so gut wie nie ihre Mütter und Großmütter kennen lernt. Außer vielleicht im Fall Maria und Margot Hellwig. Da könnte ich allerdings nicht zweifelsfrei identifizieren, wer die Mutter und wer die Tochter ist. Frauen im Dirndl kann ich sowieso nicht auseinanderhalten. Gut, dass sich das Problem in Norddeutschland selten stellt. Ich bin ja geneigt, an die Version mit den guten Genen zu glauben. Meine Mutter ist nämlich so gut wie faltenfrei. Und meine Oma war auch nicht besonders knittrig ...
Ich ziehe mein Ibiza-Kleid und die goldenen Riemchensandaletten an und gehe zum Feuerwehrball. Dort treffe ich Maria und Margot Hellwig, die mich in ein Gespräch über Kunst verwickeln und mich dann darauf aufmerksam machen, dass die Tanzband in diesem Jahr besser ist als im vorigen. Ich sehe zur Bühne, dort steht Freddy Mercury und singt I want to Break free. Dann wollen die beiden Damen Hellwig unbedingt, dass ich ihnen auf ihrer Serviette ein Autogramm gebe. Ich weigere mich, renne davon und versuche, auf ein wolkenkratzerhohes Carport zu klettern. In ungefähr zwanzig Meter Höhe verliere ich den Halt, rutsche ab und stürze in die Tiefe. Glücklicherweise habe ich mich vorher angeseilt, aber Ralf-Georg hat den Knoten geändert und die Schlinge zieht sich jetzt um meinen Hals. Ich bekomme keine Luft mehr. Ich versuche zu schreien, aber es kommt nur ein dumpfes Blubbern aus meinem Mund ...
In dem Moment werde ich wach. Tauche auf. Schnappe nach Luft. Huste. Röchele. Springe dem Tod von der Schippe. Das war knapp! Fast wäre ich ertrunken. Im Aromaölbad. Einsam, ohne Herrn Wesseltöft wiedergesehen zu haben, ohne mich von Brigitte oder meinen Eltern zu verabschieden. Und wenn Heiner dann an meinem Grab gestanden und sich überlegt hätte, was seine letzten Worte zu mir gewesen waren – nein, dass hätte nicht gut ausgesehen für ihn.
Wie lange war ich wohl unter Wasser? Dreißig Minuten oder nur drei Sekunden? Angefühlt hat es sich wie ein ganzer Abend. Das wäre
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