Schluß mit cool (German Edition)
Szene vom letzten Sommer vor sich, eine Hand lässig über das Steuer seines Wagens gelegt, das Radio wummernd, seine Stimme im perfekten Einklang mit der von Billy Corgan, und die Nacht stand still am Ende einer dunklen, von Ahornbäumen gesäumten langen Straße.
»Schoko. Schweizer Schokolade mit Mandeln.«
»Nehm ich«, sagte er, und dann fiel ihm ein, daß sie vielleicht Schlagsahne oder heiße Karamelsoße dazu machen könnten – er sei sicher, daß seine Mutter irgendwo einen Vorrat davon hatte: Sieh mal im obersten Fach hinter der Mayonnaise nach! –, und als sie sich umdrehte, stand er in der Tür vor ihr.
Sie küßte ihn – sie küßten einander immer, wenn sie sich begegneten, egal wo und wann, auch wenn einer von ihnen eben erst aus dem Raum gegangen war, denn das war Liebe, so war die Liebe –, dann nahmen sie zwei Schüsseln mit Eis ins Wohnzimmer mit und setzten den Lustmörder mit einem raschen Kommando der Fernbedienung in Bewegung.
Der Frühling zog in diesem Jahr zeitig ein, über Nacht war die Welt ergrünt, und in der ersten Märzwoche kletterte das Thermometer zweimal über fünfundzwanzig Grad. Die Lehrer verlegten ihren Unterricht nach draußen. Überall im Gebäude, sogar in den Korridoren und in der Mensa, roch es nach frischgemähtem Gras und den aufplatzenden Blüten der Obstbäume auf dem Grundstück gegenüber, und die Schüler – vor allem die älteren – schwänzten ihre Kurse, um zum Steinbruch oder an den Stausee hinauszufahren oder einfach nur mit weit offenem Sonnendach und heruntergelassenen Fenstern herumzugondeln. Nur China nicht. Sie klebte über ihren Büchern, lernte bis spätabends, bei ihr hatte alles seinen festen Platz, wie Bausteine auf einem Brett, auch die Liebe, sogar die Liebe. Jeremy kapierte es einfach nicht. »Hör mal, du kriegst sowieso schon einen Platz auf dem College, das du wolltest, und mit deinem Notendurchschnitt wirst du auf jeden Fall unter den besten zehn sein. Dann hast du vier Jahre voller Tests und Semesterarbeiten vor dir, und danach kommt noch das richtige Studium an der Uni. In der letzten Klasse der Highschool bist du nur einmal. Entspann dich. Genieße es. Oder erlebe es wenigstens mal.«
Er selbst war an der Brown University angenommen worden, wo auch sein Vater studiert hatte, sein eigener Notendurchschnitt würde ihn unter die besten zehn seiner Abschlußklasse befördern, und damit war er vollauf zufrieden, deshalb ging er sein letztes Semester ganz locker an, keine Mathe, keine naturwissenschaftlichen Fächer, sondern Kunst und Musik, die Kurse, die er schon immer belegen wollte, aber er hatte nie die Zeit dafür gehabt – und Literatur natürlich, Zeitgeschichte und Spanisch für Fortgeschrittene. » Tú eres el amor de mi vida «, sagte er zu ihr, wenn sie sich bei den Spindschränken oder zum Essen trafen oder wenn er sie am Samstag abend abholte, um mit ihr ins Kino zu gehen.
» Y tú también «, antwortete sie darauf vielleicht, »oder heißt es yo también ?« – ihre Fremdsprache war Französisch. »Aber ich hab dir oft genug gesagt, daß mir das wirklich wichtig ist, denn ich meine, ich weiß ja, daß ich Margery Yu oder Christian Davenport nie mehr einholen kann, die sind quasi abonniert auf die Lorbeeren, aber es würde mich umbringen, wenn Leute wie Kerry Sharp oder Jalapy Seegrand am Ende vor mir liegen – das weißt du doch am besten von allen...«
Es erstaunte ihn, daß sie ihre Bücher sogar mitnahm, als sie in den Frühjahrsferien zusammen wandern gingen. Sie hatten den Campingausflug lange geplant, den Winter hindurch und während des endlosen Windkanals namens Februar, hatten gefriergetrocknete Vorspeisen, Kraft-Schokoriegel, Goretex-Anoraks und zueinander passende Sweatshirts eingepackt, wobei sie jedes Stück auf einer Handwaage abwogen, die unten mit einem baumelnden Haken versehen war. Sie wollten in die Catskill Mountains hinauf, zu einem See, den er auf der Karte entdeckt hatte, und sie würden dort fünf volle Tage lang zusammensein, ohne Unterbrechung, ohne Telefon, Autos, Eltern, Lehrer, Freunde, Verwandte und Haustiere. Sie würden an einem Lagerfeuer kochen, sie würden einander Geschichten vorlesen und sich in den Zweierschlafsack mit Doppelreißverschluß kuscheln, den er bei seiner Mutter im Schrank gefunden hatte, ein Relikt aus ihrer eigenen Zeit am Busen der Natur. Er roch nach ihr, nach seiner Mutter, ein schwacher Duft ihres Parfums hatte sich dort all die Jahre hindurch gehalten, und
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