Schluß mit cool (German Edition)
entnervt klang. Sie versuchte sich zu beherrschen, kämpfte darum, ihre Stimme unter Kontrolle zu kriegen, deshalb konnte ich nicht recht verstehen, was sie sagte. Die Frau sprach mal lauter, mal leiser, und dann war da die Stimme meiner Nachbarin, die irgend etwas Knappes und Abschließendes antwortete, unterstrichen vom Zuknallen der Haustür.
Als nächstes ertönte draußen das Geräusch von Stöckelschuhen – wie Hammer und Amboß: zing, zing, zing –, die die asphaltierte Einfahrt der Schusters hinunterkamen, sich auf dem Gehsteig nach links wandten und dann vor meinem Tor anhielten – das natürlich verschlossen war. Ich war jetzt mit jeder Faser meines Körpers angespannt. Ich schob einen Finger zwischen die Seiten des Romans, den ich gerade las, und hielt den Atem an. Am Tor wurde gerüttelt, ich spähte angestrengt durch die dichte ledrige Masse des Eichenlaubs, und dann rief jemand: »Hallo, hallo, hallo-ho!« Es war die Stimme einer jungen Frau, eine energische Stimme, die sich keine Sperenzchen gefallen ließ, eigentlich eine recht attraktive Stimme – doch aus irgendeinem Grund antwortete ich nicht. Aus Gewohnheit vermutlich. Ich saß auf meiner eigenen Veranda im eigenen Garten, kümmerte mich um meine Angelegenheiten und um sonst gar nichts, deshalb nahm ich diese Störung übel, ganz egal, was sich daraus ergeben würde, und machte mir sowieso nichts vor, was die Absichten der Frau anging. Sie wollte mir irgendwas verkaufen, hatte eine Petition zum Unterschreiben, organisierte eine Nachbarschaftsinitiative zur Verbrechensbekämpfung, suchte nach ihrer entlaufenen Katze; sie hatte kein Benzin, kein Geld, kein Glück. Kurz, aber lebhaft, stieg in mir die Erinnerung daran auf, wie einmal der Gärtner mein Tor nur angelehnt hatte und eine dunkle kleine Frau im Sari den Gartenweg entlanggeraschelt kam, in den Händen das Balsaholzmodell der Regattayacht Stars & Stripes balancierend, als wäre es aus Staubzucker und Luft – sie hatte mir in die Augen gesehen und gefragt: »V’leicht du würden kaufen wollen für hunnert Dollars gute Geld?«
»Hören Sie, ich wohne hier gleich um die Ecke«, rief die Frau und rüttelte erneut am Tor. »Seien Sie nicht so«, sagte sie, »ich kann Sie nämlich sehen, wissen Sie – ich sehe Ihre Füße –, also weiß ich, daß Sie da sind. Ich will mich bloß kurz mit Ihnen unterhalten, sonst nichts, nur einen Moment...«
Sie konnte mich sehen? Verlegen hob ich die Füße von den Bodenbrettern und legte sie auf das Geländer. »Ich kann nicht«, sagte ich, und es klang schwach und verwässert, »ich bin gerade sehr beschäftigt.«
Der Bruchteil eines Augenblicks verstrich, sämtliche Geräusche der Umgebung lagen miteinander im Wettstreit – in den Bäumen zeterten die Krähen, über uns machte sich ein Jet mit einem fernen Tosen der Triebwerke bemerkbar, irgendwo wurde ein Laubbläser angeworfen –, und dann flötete sie: »Hübsche Schuhe. Wo haben Sie die denn her? Nicht von hier aus der Stadt, stimmt’s?«
Ich antwortete nicht, hörte ihr aber zu.
»Kommen Sie, nur eine Minute, mehr will ich ja gar nicht.«
Ich lebe allein, und zwar aus freier Entscheidung, aber das möge man nicht falsch verstehen: ich bin kein Eunuch. Ich habe Bedürfnisse und Triebe wie andere Männer, und die kann ich sporadisch mit Stefania Porovka befriedigen, der Konditoreiassistentin im El Encanto. Stefania ist zweiunddreißig, hat eine tiefe, rauchige russische Stimme, die irgendwo im Bereich zwischen elektrisierend und aphrodisisch liegt, außerdem zwei Kinder in der Grundschule. Die Kinder sind in Ordnung, für Kinder jedenfalls, abgesehen von diesem Gegreine, wenn sie mal nicht ihren Willen kriegen (was aber irgendwie ständig der Fall zu sein scheint), dennoch kann ich sie mir nicht in meinem Haus vorstellen – und ebensowenig kann ich mir mich in Stefanias chaotischer Dreizimmerwohnung im ersten Stock ausmalen. Worauf ich hinauswill: ich bin dann doch von der Veranda herunter und den Weg zum Tor geschlendert, und da stand diese junge Frau um die Zwanzig oder so in Bluejeans, Stöckelschuhen und einem tief ausgeschnittenen Oberteil.
Sie beugte sich leicht über das Tor, die Arme übereinandergeschlagen, an den Fingern funkelnde Ringe. Ihre Augen und Haare hatten genau denselben Braunton, als wären die Farben im gleichen Kessel gemischt worden, was ja gewissermaßen auch der Fall sein mußte, und sie hatte ungewöhnlich buschige und ausdrucksvolle Augenbrauen, wiederum in
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