Schluß mit cool (German Edition)
der Sonne bestimmt über dreißig Grad hatte. Sie ließ sich in dem schweren Eichensessel am Fenster nieder, streifte die Stöckelschuhe ab und nahm nacheinander beide Füße in die Hände und massierte sie bedächtig. »Ich hasse Absätze«, sagte sie, »vor allem so hohe. Aber die schreiben sie uns vor.«
Ich hatte mir auch ein Bier genommen, das ich auf dem Schoß hielt, während ich sie betrachtete.
»Keine Turnschuhe – Turnschuhe mögen sie gar nicht – und keine Joggingsachen. Steht so in unserem Vertrag.« Sie lachte. »Aber du weißt überhaupt nicht, wovon ich rede, was?«
Ich dachte an Stefania und daran, wie lange ich sie schon nicht mehr zu mir eingeladen hatte, wie lange es her war, daß sie in diesem Sessel gesessen und etwas so Unbefangenes getan hatte, wie sich die nackten hellen Füße zu massieren und mit einem Bier in der Hand zu lachen. »Erzähl’s mir«, sagte ich.
Es war eine lange Geschichte, die so viele Abschweifungen enthielt, daß die Abschweifungen selbst wieder zu Geschichten wurden, doch letzten Endes begriff ich, daß das große weiße Haus an der Ecke, wo sie mit sechs anderen jungen Frauen wohnte, eine Art Studentenwohnheim darstellen sollte – hier fand der Name »Peep Hall« seine Assoziation –, und daß es bei der Sache darum ging, Internet-Abonnements an verschwitzte Voyeure zu verkaufen, die dafür zu jeder Tages- und Nachtzeit auf der Website des Hauses herumklicken durften, um den Mädchen dort live und in Farbe bei ihren Verrichtungen zuzusehen. »Also ihr habt da überall Videokameras im Haus?« fragte ich und versuchte es mir vorzustellen. »So wie in der Bank oder im Supermarkt – so in der Art?«
»Genau, nur sind die Bilder von viel besserer Qualität, und es sind auch nicht nur ein, zwei Kameras installiert, sondern wir haben überall welche.«
»Sogar im Bad?«
Wieder ein Lachen. » Besonders im Bad, was glaubst du denn?«
Dazu hatte ich nichts zu sagen. Ich war vermutlich schockiert. Ich war schockiert. Natürlich war ich das. Aber – wieso soll ich’s nicht zugeben? – ich war auch erregt. Frauen unter der Dusche, dachte ich, Frauen in der Badewanne. Ich leerte mein Bier, hielt die Flasche gegen das Licht und fragte sie, ob sie noch eins haben wollte.
Sie schob aber bereits ihre Füße in die Schuhe hinein. »Nein, nein, danke – ich muß gehen«, sagte sie und erhob sich. »Aber schönen Dank für das Bier und so – und wenn die mit ihrer Unterschriftensammlung zu dir kommen, dann sag ihnen, daß wir nichts Schlimmes anstellen, okay?« Sie lächelte und wiegte sich leicht auf den hohen Absätzen. »Und ich weiß ja nicht, ob du auf so was Lust hast – aber Internet hast du doch, oder? –, jedenfalls solltest du mal bei uns vorbeischauen, dir das Ganze selber ansehen.«
Wir standen an der Tür. Sie reichte mir die leere Bierflasche, die noch warm war von ihrer umfangenden Hand. »Das solltest du wirklich«, sagte sie.
Als sie gegangen war, machte ich mir noch ein Bier auf und wanderte in den unteren Zimmern umher, hob Zeitschriften auf und ließ sie wieder fallen, öffnete und schloß Türen ohne triftigen Grund, bis ich irgendwann in der Küche stand. In der Spüle lag Geschirr, auf dem Herd stapelten sich Pfannen, die mit diesem und jenem verkrustet waren. Das Abtropfbrett sah aus wie ein archäologischer Fund, das einzige, unbegreifliche Objekt, das eine untergegangene Kultur hinterlassen hatte – war es nun ein reiner Ziergegenstand oder hatte es ursprünglich einen Gebrauchszweck gehabt? Durch die Fenster drang schlieriges Licht. Die Pflanzen mußten mal wieder gegossen werden. Eigentlich wollte ich mir ein Omelett braten und dann zur Uni rüberfahren, wo der Montags-Filmclub eine Vorstellung von Das siebente Siegel angesetzt hatte – dieser Film ist derart trostlos, daß er mir jedesmal Tränen von hysterischem Gelächter in die Augen treibt –, aber statt dessen wählte ich aus einem Impuls heraus die Nummer von Stefania. Als sie sich meldete, klang ihre Stimme leicht genervt, all die russische Rauchigkeit war wie fortgeblasen vom Wind der Kompliziertheit und Turbulenz, und im Hintergrund hörte ich ihre Kinder kreischen, als würde ihnen die Haut in langen, schmalen Streifen abgezogen. »Hallo?« meldete sich Stefania fordernd. »Wer spricht? Ist da jemand? Hallo?« Obwohl meine Hand zitterte, legte ich den Hörer behutsam wieder auf die Gabel.
Es war schon eigenartig – dies war mein freier Tag, der einzige Tag der Woche, an
Weitere Kostenlose Bücher