Schluß mit cool (German Edition)
Runde hatte ich mitgehalten, und wie gesagt, ich war schon etwas früher am Abend mit irischem Whiskey dabeigewesen – und ja, mir ist nur allzugut bewußt, daß die Schrumpfleber und eine schwere Zunge zu den Risiken meines Berufsstandes gehören, aber normalerweise habe ich das gut unter Kontrolle. Trotzdem leide ich manchmal unter Langeweile und übertreibe es dann von Zeit zu Zeit, vor allem wenn es mit meinem Roman nicht so gut läuft, und damit lief es seit längerem nicht so besonders. Mein Problem ist, daß ich nicht über die ursprüngliche Idee – die Einleitung – hinauskomme, eine Geschichte, die ich vor zwei, drei Jahren mal in der Zeitung gelesen habe. Dabei geht es um die Begegnung einer alten Frau mit den geheimnisvollen Mächten der Natur (ich habe ihren Namen vergessen, nicht daß der wichtig wäre, aber ich nenne sie Grandma Rivers, um die Ironie des Schicksals zu unterstreichen, daß es um eine Frau mit acht Kindern, zweiunddreißig Enkeln und sechs Urenkeln geht, die allein in einem Wohnwagencamp lebt, in einem Teil des Landes, der so öde ist, daß niemand, der nicht dazu verurteilt wurde, auch nur aus dem runden Fenster eines siebentausend Meter hoch fliegenden Flugzeugs darauf hinabblicken würde). Eines Nachts, als der Südwind den Duft des Paradieses herbeiweht und alle ihre Nachbarn in ihren Aluminiumkisten hocken, eingelullt mit Alkohol, rezeptpflichtigen Medikamenten und dem einschläfernden Gebrabbel des Fernsehers, tritt sie vor die Tür, um den Geruch der Nacht wahrzunehmen und eine Zigarette zu rauchen (sie raucht immer vor der Tür, um das Innere ihrer eigenen kleinen Aluminiumkiste nicht zu verpesten, die am Rande der sonnenversengten Prärie steht). Kaum hat sie sie angezündet, schießt ein Fuchs – ein Rotfuchs, Vulpes fulva – aus dem Dunkel hervor und verbeißt sich in ihrem Unterschenkel. Im Schock und in der Verwirrtheit des Augenblicks wankt sie rückwärts, verliert das Gleichgewicht und fällt unglücklich auf die rechte Seite, wobei sie sich die Hüfte ausrenkt. Doch der Fuchs, der sich übrigens später als tollwütig erweist, geht weiter auf sie los, diesmal will er sie im Gesicht erwischen, und in ihrer Panik fällt ihr nichts weiter ein, als ihn mit ihren zitternden alten Armen zu packen und unter sich einzuklemmen, um die schnappenden Zähne fernzuhalten.
Zwölf Stunden. So lange liegt sie dort, unfähig zu jeder Bewegung, während der Fuchs unter ihr knurrt und sich windet, sie fühlt seinen Herzschlag, seinen Atem, die beredten Funktionen seines Körpers, die Säfte und Flüssigkeiten und das Arbeiten seines wahnsinnigen kleinen Fuchshirns, bis jemand – ein Nachbar – zufällig über die Hecke und hinter den buckligen, verrosteten alten Jeep Wagoneer blickt, der ihrem verstorbenen Mann gehört hat, und dort sieht er sie liegen, auf dem Schotter vor ihrem Wohnwagen hingestreckt wie ein weggeworfener Teppich. Ja. Aber was dann? An dieser Stelle steckte ich fest. Ich hatte daran gedacht, sie zurückblicken und ihr Leben bis dahin Revue passieren zu lassen, die Kindheit in der Weltwirtschaftskrise, die Überseeabenteuer ihres Mannes im Weltkrieg, der Sohn in Vietnam getötet... Oder vielleicht sollte sie auch eher in den Hintergrund treten, während ich mich auf die Geschichte der anderen Menschen konzentrierte, ihre umnachteten Nachbarn mit den rattengesichtigen Kindern beschrieb, so daß das Wohnwagencamp selbst zur handelnden Figur würde...
Aber wie gesagt, ich erwachte mit Kopfschmerzen, und als ich mich an den Computer setzte, ging es mir nicht darum, Grandma Rivers und den unvollendeten Traum ihres Lebens wachzurufen, sondern um zu www.peephall.com hinüberzusurfen und eine andere Sorte Roman vor meinen Augen Gestalt annehmen zu lassen, eine Sorte, in der die Handlung außer Kontrolle war und der anonyme Abonnent mit seiner anonymen Maus nur die Details auswählte und formte. Ich klickte direkt auf Samanthas Schlafzimmer, doch ihr Bett war leer bis auf die zerwühlte Topographie von Decken und Kissen, und ich starrte benommen auf die dunklen Schatten an den Wänden, die schlaffe Form des Kleids, das über einem Stuhl hing, und sah dann auf die Uhr. Es war 10.30 Uhr. Frühstück , dachte ich. Ich klickte auf »Küche«, aber das war nicht sie, die da in die Zeitung versunken saß, eine Tasse Kaffee in der einen, einen Müsliriegel in der anderen Hand, nicht sie beugte sich aus der Hüfte nach vorn und spähte in den Kühlschrank, wie auf eine
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