Schlussakt
Waschstraße gehörte.
Der Empfangsraum war
leer. Keine Illustriertenschönheit heute, kein Provencearoma. In Cordulas
holzgetäfeltem Büro saß Bernd Nagel, die Beine übereinandergeschlagen, und
rauchte. Ich musste zweimal hinschauen: Seine Zigarette war tatsächlich eine
Zigarette, Qualm stieg auf, aber die Hausherrin verzog sich ins Freie, um ihr
Büro nicht zu verpesten. Ja, ja, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde und wie
das so ist.
»Tag, Herr Nagel«, sagte ich und ließ mich schwer in einen
Sessel plumpsen. »Und herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Entlassung.«
Der Geschäftsführer schwieg. Irgendwie kam er mir aufreizend
entspannt vor. Sein rechter Arm baumelte schlaff über der einen Seitenlehne,
der linke Ellbogen stützte sich leicht auf die andere. Zwischen zwei Fingern
schwebte der Glimmstängel, die Augenlider des Mannes hingen auf Halbmast. Dünne
Tabakschlieren stiegen auf und verwischten die Konturen seines Gesichts. Er sah
in meine Richtung, aber durch mich hindurch. Und er schwieg. Sollte er
schweigen. Ich hatte Zeit.
»Ich frage mich«, sagte er schließlich, »wie viel Sie dazu
beigetragen haben.«
»Wozu?«
»Dass ich freigekommen bin.«
»Nichts. Das haben Sie Cordula zu verdanken. Und einem
einsichtigen Haftrichter. Mein bescheidener Beitrag bestand darin, eine Person
ausfindig zu machen, die während Ihrer Haft ermordet wurde.«
Er blickte den entschwebenden Rauchgirlanden nach. »Wie kam
das?«
»Dass ich Woll fand? Zufall. Ich war bei Ihrer Wohnung,
wollte zum Emmertsgrund und nahm die Abkürzung durch den Wald. Genau genommen
habe nicht ich Woll gefunden, sondern ein Mädchen mit Schlitten und rosa
Mütze.«
»Richtig, es lag Schnee«, sagte Nagel. Seine Stimme bekam
etwas Träumerisches. Ich habe keine Ahnung, wie sehr ein Gefängnisaufenthalt
Menschen verändert, Nagel jedenfalls schien er nicht gut bekommen zu sein.
Sicher, sein Lebensplan war ins Stocken geraten, in jeder Zeitung stand sein
Name, man spekulierte über ihn und seinen Affekthaushalt. Das Treffen mit
Annette Nierzwa kurz vor ihrem Tod würde sich nicht verheimlichen, Frau von
Wonnegut ihn wohl fallen lassen. Und selbst wenn das nicht eintrat, würde etwas
an Nagel hängen bleiben.
»Wie wars im Knast?«, fragte ich. »Oder ist Ihnen diese Frage
zu direkt?«
Zum ersten Mal blickte er mir gerade in die Augen. »Sie
werden lachen«, sagte er. »Ich hätte nichts dagegen gehabt, noch zu bleiben.«
»Warum?«
Er schwieg.
»Wollen Sie mir das nicht verraten, Herr Nagel?«
»Nun lass ihn doch in Ruhe, Max«, sagte Cordula Glaßbrenner
von der Tür her. Sie hatte sich ihres Mantels und des Zigarillos entledigt und
steckte im Gehen ihr Haar mit einer großen Klammer zusammen. »Bernd ist in den
letzten Tagen so oft verhört worden, da brauchst du nicht gleich
weiterzumachen.«
»Ja, ja«, brummte ich und lümmelte mich möglichst unflätig in
meinen Sessel. »Immer dieselbe Leier.«
Mit einem hellen Lachen nahm Cordula hinter ihrem
Schreibtisch Platz und sah aufgeräumt in die Runde. »Wie schön, dass sich jeder
so verhält, wie man es von ihm erwartet. Der Haftrichter tat es, indem er Bernd
ohne Auflagen entließ, und der liebe Max Koller tut es, indem er mit seinen Ermittlungen
an Ort und Stelle fortfährt. Das muss ja auch so sein, schließlich hast du
einen Auftrag, richtig?«
»Richtig«, sagte ich.
»Aber auch ich als Bernds Anwältin tue das, was man von mir
erwartet. Was mein Auftrag ist. Ich habe meinen Mandanten zu schützen,
verstehst du? Vor weiteren Verdächtigungen, vor Zugriffen der Polizei, vor
Belästigungen. Von der Presse ganz zu schweigen. Bernds guter Ruf muss so
schnell wie möglich wiederhergestellt werden. Es geht schließlich um seine
Existenz.«
Nagel erhob sich, um seine Zigarette in einem Aschenbecher
auszudrücken, der zu Füßen der weiblichen Holzfigur stand. Dann ging er zum
Fenster und sah hinaus. Nicht, dass es draußen ein großartiges Schauspiel
gegeben hätte, bloß eine stille Straße und schmucke Häuser und vorübereilende
Passanten mit grauen Wintergesichtern.
»Dazu gehört«, fuhr Cordula fort, »eine ganze Reihe von
Maßnahmen, mit denen ich dich nicht langweilen möchte, Max. Eine dieser
Maßnahmen allerdings betrifft dich. Deshalb haben wir dich hergebeten.«
»Ich bin ganz Ohr.«
Sie lehnte sich zurück und schenkte mir ein Lächeln, dessen
Wärme durch und durch ging. Mir war ein Rätsel, wie sie das
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