Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
Vom Netzwerk:
»ist keine
gute Kinderstube.«
    »Zum Teufel mit den Kindern«, rief ich. »Fangen wir an!«
    »Als ich in den 70ern …«
    »Ruhe!«
    »e2 – e4«, sagte Tischfußball-Kurt, rückte seinen Bauern vor
und knallte seine flache Hand auf die Schachuhr.
    »Das ist eine
Scheiß-Eröffnung, Kurt!«, brüllte ich. »Fang noch mal an! Du kriegst eine
zweite Chance.«
    Kurt sperrte den Mund auf. »Spinnt der? Was soll das? Die
Zeit läuft.«
    Gut, dann würde ich diesem Pygmäen zeigen, wie man Schach
spielt. Allen würde ich es zeigen! Ich machte ingeniöse, nie gesehene Züge, ich
trommelte auf der Schachuhr herum, ich erklärte und kommentierte. Ob die Welt
meine Genialität erkannte, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass meine Erklärungen
immer länger wurden, dass ich über Buchstaben und Satzzeichen stolperte und an
der Schulter des schwarzen Goten Halt suchen musste. Die Schachfiguren hatten
keine Hundegesichter mehr, sondern Musikerfratzen, sie flöteten und geigten und
trommelten. Der König dirigierte, die Dame lüpfte ihren Rock. Ich griff nach
meinem Bier, da sagte Herbert, das sei das falsche Bier, nämlich seins,
daraufhin sagte ich, es sei das richtige Bier, denn nur ein leeres Bier sei ein
falsches Bier.
    »Ich habe gelesen«, hörte ich Leander sagen, »dass die
modernen Metalldetektoren sogar auf Eisentabletten anschlagen.«
    »Ruhe!«, schrie ich entnervt. »Stell mal einer das Orakel
aus!«
    Das Letzte, was mir von diesem Abend in Erinnerung blieb, war
ein großer, schwarzer Ärger, der mich überkam, als die Niederlage gegen
Tischfußball-Kurt feststand. Ausgerechnet gegen Kurti. Meine Türme wollten sich
nicht geradeaus bewegen, bei den Rösselsprüngen zählte ich mit den Fingern die
Felder ab. Am Nebenbrett gewann der schöne Herbert leicht und locker gegen den
Grufti und wurde Turniersieger.
    »Das wa r ein Versehen«,
tröstete er uns. »Ich machs wieder gut.«
    »Verdammte Scheiße!«,
brüllte ich und schob eine Armee leerer Bierflaschen zur Seite, die jemand vor
mir aufgetürmt haben musste. »Alles nur wegen dem Müll hier! Kann man sich ja
überhaupt nicht kondensieren!«
    »Konzentrieren heißt das«,
verbesserte K urt mürrisch, und wahrscheinlich hatte er sogar recht.

Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

28
    Nach solchen Abenden lauten die gängigen
Formulierungen: Herr K. wachte mit steifem Nacken, heftigen Kopfschmerzen und
brennendem Durst auf. Galle unterm Gaumen, im Rücken ein Stahlträger. All das
stimmte, und es stimmte nicht. Ich wachte nämlich nicht auf, ich tat nur so.
Öffnete die Augen, sah nichts, klappte sie wieder zu. Setzte mich nach einer
Weile im Bett auf, merkte, dass ich nicht wach wurde, schlief weiter. Es schlug
sieben, es schlug acht, ich bekam alles mit, und vor allem bekam ich mit, dass
dieser versoffene Typ da zwischen den Kissen einfach nicht wach wurde. Trotz
Schädelwehs, trotz Nachbrands. Koma.
    Immer noch in Trance, schlurfte ich ins Bad und ließ kaltes
Wasser über meinen Kopf laufen. Minutenlang. Das Wasser konnte gar nicht kalt
genug sein. Erste Anzeichen der Besserung. Ich trank drei Zahnputzbecher aus,
setzte mich aufs Klo, hielt meinen Kopf mit beiden Händen fest. Das verdammte
Blitzschach war mir nicht bekommen. In der Küche plünderte ich meine
Aspirinvorräte. Noch mehr Leitungswasser, mit trockenem Gaumen schluckten sich
die Tabletten so schlecht. Die Augen wollten gerieben sein. Auf dem Rückweg zum
Bett meldete sich mein Telefon. Ohne zu überlegen, hob ich ab.
    Das hätte ich besser nicht getan.
    Am anderen Ende der Leitung tobte ein Rumpelstilzchen. Das
Rumpelstilzchen benahm sich genau wie im Märchen, es war klein und alt, und ich
wartete darauf, dass es sich irgendwann in zwei Stücke risse. Das tat es aber
nicht. Lieber hätte es mich entzweigerissen.
    »Wie steh ich denn nun da, Herr Koller?«, zeterte Frau von
Wonnegut. »Ich bin blamiert. Und diesen Mann wollte ich zu meinem Erben machen!«
    Nach und nach begriff ich, was sie meinte. Die Todesanzeige
für ihren Lieblingsdirigenten. Der am heutigen Donnerstagmorgen als Pädophiler
durch alle Zeitungen geisterte. Elke und Enoch, das bizarre Traumpaar der
Musik. Und ich hatte die gute Frau nicht vorgewarnt. Hatte ihr weder einen Wink
gegeben, noch sie an meinen Ermittlungsergebnissen teilhaben lassen. Falls
solche Ergebnisse überhaupt existierten. Sie fragte sich, ob ich wohl das viele
Geld wert

Weitere Kostenlose Bücher