Schlussakt
Bebrillten hier zu suchen?
»Aber das macht doch nichts«, säuselte der Typ und bückte
sich, um etwas vom Boden aufzuheben. »Macht überhaupt nichts.« Sich aufrichtend
rückte er seine unsägliche Brille zurecht. Wenn ich ehrlich bin, war die Brille
noch das Sympathischste an ihm. Er hatte die wulstigen Lippen eines Fisches,
eine Nase, deren kräftigem Rücken man jedes Brillengestell dieser Welt zumuten
konnte, außerdem roch er nach künstlichem Waldaroma. Erst hatte er mir ein Bein
gestellt und dann nach Nagels Foto gegrapscht, das mir aus der Hand gefallen
war. Er besah es sich grinsend, bevor er es dem Dandy mit den Koteletten
reichte.
»Hats geschmeckt, Herr Schnitzelesser?«, vernahm ich eine
tiefe Stimme. Es war der Blonde mit dem Seitenscheitel. In seinem
Kalle-Blomquist-Gesicht funkelten harte Augen. Cool wie ein Zocker saß er am
Ende des Tisches und wartete auf meine Reaktion.
Zu solchen Spielchen gehört es, dass man die Ruhe bewahrt und
sich verschiedene Optionen offenhält. Ich konnte dem Lippenfisch sein Bier ins
Gesicht schütten oder in den Kragen, was ihn sicher mehr fuchsen würde, ich
konnte mich auf einen mündlichen oder handgreiflichen Schlagabtausch einlassen,
ich konnte aber auch einfach warten, bis das Foto die Runde gemacht hatte, und
mich zurückziehen. Hinter solchen Provokationen steckte nur der Wunsch, für
zwei Minuten die Langeweile eines Heidelberger Studienlebens zu vergessen.
Der Bubi mit den Stoppelhaaren lachte, als er Nagels Gesicht
sah, und der Blonde fragte freundlich: »Na, wen haben wir denn da?«
Ja, freundlich war er, freundlich wie ein Hai vor der
Fütterung. Ich schwieg.
»Ein Geheimnis?«, bohrte er nach.
Ich schwieg.
Und dann befand sich mein Kinn mit einem Mal fünf Zentimeter
über einem Bierglas, weil mich der Lippenfisch am Hemdkragen gepackt und nach
unten gerissen hatte. »Na?«, zischte er.
Ich glaube, seine Kollegen im Hintergrund fingen an zu
lachen, und der Blonde sprach in seiner freundlichen Art eine kleine Rüge aus,
aber das war unerheblich. Denn in dem Moment war es schon passiert. Ich konnte
gar nichts dafür. Ein Reflex. Kaum hing meine Fresse über dem halb vollen Glas
des Lippenfischs, da schwamm auch schon ein fetter Batzen Spucke drin, der
partout nicht untergehen wollte. Meiner Spucke, um genau zu sein. Der Typ ließ
mich vor Schreck los und griff zu seinem Glas, als ob da noch was zu retten
sei. Nichts war da zu retten. Sobald er das begriffen hatte, und es dauerte
überraschend lange, schnellte er von seinem Sitz hoch, dass seine breiten
Nasenflügel flatterten. Ich trat einen Schritt zurück.
»Aufhören, verdammt!«, schallte eine scharfe Stimme von der
Theke herüber. »Ihr pubertären Hansel!«
Die Bedienung der Ölmühle ist nicht nur älter, sondern
auch aus härterem Holz geschnitzt als das Mobiliar. Sie brauchte nur in der
Nähe des Tisches aufzutauchen, schon brachen die Angriffsstellungen zusammen.
Der Lippenfisch setzte sich langsam, und in der plötzlich entstehenden
Atempause hörte man deutlich, wie einer seiner Kumpels sagte: »Ach je, jetzt
ist mir doch tatsächlich …«
Es war der Geheimdiensttaugliche. Ich hatte ihn natürlich
völlig übersehen. Trübsinnig saß er vor seinem Bier, in dem Nagels Foto langsam
versank. Der Blonde grinste.
»Los, los, an deinen Platz!«, schnauzte mich die Bedienung
an. »Und kommt mir bloß nicht auf den Gedanken, euch hier zu kloppen. Dass das
Haus in seine Einzelteile zerlegt wird, dafür sorgen schon andere.«
»Der Herr möchte noch ein Bier bezahlen«, sagte der Blonde,
gönnerhaft über seinen Scheitel streichend.
Ich sah, wie Nagels Foto den Grund des Bierglases erreichte,
und trollte mich wortlos.
»Was war denn das?«, fragte Fatty perplex.
»Nichts«, sagte ich. »Nur ein paar Wohlstandsterroristen.
Nicht der Rede wert.«
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
8
Nie wieder Weizenbier!
Besaufen kann man sich an dem Zeug nicht, es hinterlässt
Kopfschmerzen und im Mund einen schalen Geschmack, den keine Zahnpasta der Welt
wegbürstet. Noch vor dem Frühstück warf ich zwei Aspirin ein und bemitleidete
mich ausgiebig. Die fünf Plastiksprengköpfe aus der Ölmühle würden
keinen Kater haben, weil sie zusammen weniger getrunken hatten als ich. Fatty
auch nicht, denn dessen Körperfunktionen waren ganz auf seine neue Liebe
ausgerichtet. Ich war allein auf der Welt mit meinem
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