Schmeckts noch
Vielfalt im Stall und auf dem Acker. Doch das Gegenteil ist der Fall, und die Folgen könnten eines Tages geradewegs in die Katastrophe führen.
Wenn heute in Geflügelställen gestorben wird, kann es auch die gefürchtete Vogelgrippe sein. Für die aggressiven Viren sind solche Massen an Tieren, wie sie in den Zuchtanlagen auf engstem Raum zusammengepfercht werden, ein gefundenes Fressen. Die Anlagen in Südostasien und Brasilien stellen sowohl von ihren gigantischen Ausmaßen als auch vom brutalen Umgang mit den Tieren her europäische Hühnerfabriken weit in den Schatten. Neben Betrieben in China, Thailand oder Brasilien wirken deutsche Anlagen, die wie in Sachsen mit 780 000 Legehennen oder wie im Emsland mit 465 000 Masthühnern besetzt sind, allenfalls wie harmlose Nebengebäude. In den Megaställen der Drittweltländer vege tieren viele Millionen Tiere ihrem Tod auf dem Schlachthof entgegen. Sie landen später in sogenannten Convenience-Produkten wie Chicken Wings, Hähnchen-Nuggets und vorgewürzten Brust filets auf unserem Tisch.
Die Folge der Massenquälerei hat einen Namen: H5N1, die Vogelgrippe. Das Epizentrum des Ausbruchs lag anfangs in Asien. 1997 sprang der Erreger in Hongkong erstmals auf einen Menschen über. Ein dreijähriger Junge starb, sechs weitere Opfer erlagen der Infektion. In der Folge kam es zu Massenschlachtungen von Geflügel, etwa zwei Millionen Tiere wurden in Hongkong getötet. 2003 brach H5N1 dann gleich in mehreren Ländern aus.Die Vogelgrippe ereichte Südkorea, Indonesien, Vietnam und China, ein Jahr später wurde sie auch in Kambodscha, Taiwan und Thailand gemeldet. Und immer wieder tobte der Erreger in China. Viele hundert Millionen Vögel wurden rein präventiv geschlachtet. Dann erreichte das Virus Russland und letztendlich auch Europa. 2005 verendeten Möwen in Finnland an Vogelgrippe. Von hier aus wanderte das Virus zunächst nach Brasilien, um kurze Zeit später auch in Bulgarien, Polen und Ungarn aufzutauchen. Ein Jahr später wurden an einem Fähranleger auf der Insel Rügen zwei tote Schwäne gefunden: Sie waren an der Vogelgrippe verendet.
Mit Schuldzuweisungen sind die internationalen Geflügelgiganten, Politiker und verantwortliche Gesundheitsbehörden schnell bei der Hand: Wildvögel und kleine Geflügelbauern in Asien sollten schuld sein am Ausbruch von H5N1. Es hieß, freilaufende Hühner, Enten und Gänse auf den Hinterhöfen würden die Vogelgrippe verbreiten. Seit es im Norden Chinas am Qinghai-See zum Massenexodus von Wildgänsen kam, wurden Zugvögel mit Argwohn betracht. Als dann die Vogelgrippe auch in Kasachstan, Russland und der Türkei ausbrach, schauten die Menschen weltweit angstvoll in den Himmel. Es müssten Zugvögel sein, die die Seuche verbreiten, wurde vermutet. Doch die Jahreszeit passte nicht zu diesem Erklärungsmuster, denn der gefürchtete Vogelflug hatte noch nicht begonnen. Auch die Flugrouten der Zugvögel konnten diese Annahme nicht stützen. Doch das wollte niemand hören. Hauptsache, es war endlich ein Schuldiger für den Ausbruch gefunden. Wildtiere sind für die Rolle besonders gut geeignet, denn sie gehören niemandem, der dafür verantwortlich wäre. Außerdem können sie sich gegen die Anschuldigungen nicht zur Wehr setzen.
Dass von der Ansteckung mit H5N1 bis zum Ausbruch der Krankheit und dem Tod der Vögel häufig nur zwei, drei Tage vergehen und infizierte Zugvögel den kräftezehrenden Langstreckenflugkaum überleben würden, zog man ebensowenig in Betracht wie die Tatsache, dass die ersten Infektionen in der Türkei, in Nigeria, Indien und Ägypten direkt in großen Geflügelbeständen aufgetreten sind. Der nigerianische Landwirtschafts-minister erklärte öffentlich, dass das Virus importiert worden sei: mit Küken aus China. »Wildvögel sind die Opfer der Industrievögel und keinesfalls umgekehrt«, betont denn auch Claus-Peter Hutter, Präsident der Umweltstiftung Euronatur.
Ein kritischer Blick auf die Region rund um den Qinghai-See in China, wo das Virus erstmals massiv aufgetreten ist, hätte genügt, die Wildvögel sofort für unverdächtig zu erklären. Entlang des Sees gibt es gigantische Geflügelfarmen. Hühnerkot wird dort einfach als Dünger auf die Felder ausgebracht, damit man ihn unkompliziert und schnell los wird. Lastwagen und Züge transportieren Industriehühner, Kot und Kadaver über Hunderte von Kilometern durchs Land, und sie verbreiten nicht nur Chicken Nuggets und Hühnerbrüste. Lokale
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