Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road
Stirn schien vorzuspringen,
bevor sie sich spaltete, zuerst in zwei Hälften, dann in Viertel und dann in viele verschiedene Teile, sodass die Orchideen auf ihn zukamen, und sie auf die Zehenspitzen stieg und in seine Arme flog, und dann sah er gar nichts mehr, weil er ihr Gehirn in den Augen hatte.
4
Der Typ von der Suffolk-County-Mordkommission sah aus wie ein Stilett mit Augen. Die dunkle Unruhe in Flynn war einem Gefühl der Bedrohung gewichen. Er hatte erwartet, einen der Polizisten zu treffen, die er schon kannte. Stattdessen hatten sie ihm diesen harten Knochen vorgesetzt, der ihm mit Sicherheit irgendetwas anhängen würde. Noch bevor der Mann sich vorstellte, warf er ihm einen Blick zu, als wüsste er, dass jedes Wort aus Flynns Mund nur eine Lüge sein konnte.
Flynn hatte viele Polizisten kennengelernt. Die vorderste Front der Donut-Brigade. Die harten Kämpfer für das Recht, die lieber Verbrechen aufklärten statt Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Fiese Typen mit Abzeichen, die Teenager-Mädchen verhafteten, damit sie es ihnen auf dem Rücksitz besorgten. Solche, die genauso gut eine kriminelle Laufbahn hätten einschlagen können
und in ihrer Freizeit am liebsten mit Gangstern und Nutten rumhingen.
Diesen hier konnte er erst mal nicht einordnen.
Sie waren in der Notaufnahme. Der Sturm war schlimmer geworden. Die Kranken saßen zusammengedrängt in der einen Hälfte des Warteraums, während Polizisten und Polizeifotografen rein und raus liefen, Kakao tranken und sich den Schnee von den Schuhen klopften.
Die Patienten starrten Flynn an. Er konnte es ihnen nicht verdenken. Er war mit den Händen vorm Gesicht hereingeplatzt und hatte sich sofort auf den Fußboden übergeben. Der Sicherheitsmann hatte wieder »Sir! Sir!« gerufen. Flynn hatte die Toilette mit geschlossenen Augen gefunden und war praktisch im Waschbecken untergetaucht, um sich abzuwaschen. Seine Stirn hatte zwei Kratzer von herumfliegenden Schädelsplittern abbekommen. Etwas anderes von der Toten war in seinem Mund.
Flynns Sachen waren voll von ihrem Blut. Ein Hausmeister hat seine Kotze weggewischt, aber der Gestank hing noch schwer im Raum.
Der Sicherheitsmann beschwerte sich bei der Polizei, wies mit dem Kinn auf Flynn und hielt dabei die Arme vor der Brust verschränkt.
Der Stilett-Typ war etwas über eins siebzig groß und an die fünfundsiebzig Kilo schwer. Er wirkte, als könne man ihn hochheben und durch den Raum segeln lassen wie einen Papierflieger. Er trug schwarze Handschuhe und einen dick gefütterten schwarzen Regenmantel, unter dem das obere Drittel eines schwarzen
Dreiteilers zu sehen war. Seine Krawatte war doppelt geknotet. Schwarzes Haar, die Augen ein trübes Grau, die Haut eierschalenfarben wie ein schmutziges Motellaken.
»Ich heiße Raidin«, sagte er. Seine Stimme klang weich wie die eines Priesters. Der Name blieb in der Luft stehen. Flynn wusste, dass er dran war, aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Er nickte nur und hoffte, es würde ausreichen. Der Polizist fuhr mit aalglatter Höflichkeit fort: »Könnten Sie mir bitte noch mal im Detail berichten, was hier vorgefallen ist?«
Das tat Flynn. Er erzählte ihm genau, was passiert war, angefangen mit dem hustenden Jungen in der Notaufnahme und dass er darauf gewartet hatte, mit Shepard sprechen zu können. Ihm war klar, dass er kein gutes Bild abgab. Wahrscheinlich machte er einen verwirrten Eindruck, was er vielleicht auch war. Er ließ nichts aus. Raidin sah ihm die ganze Zeit fest in die Augen, während er seine Geschichte vortrug. Flynn ließ sich nicht davon beeindrucken. Sobald er fertig war, würde Raidin ihn auseinandernehmen.
»Kannten Sie sie?«
»Nein«, erwiderte Flynn. »Wer war sie?«
»Sie haben das Mädchen noch nie gesehen?«
»Nein.«
»Und Sie haben nie mit ihr geschlafen?«
Flynn zählte bis fünf und versuchte, cool zu bleiben. Raidin war bestimmt einer dieser Bullen, die einen Tropfen für Tropfen aushöhlten wie unter der chinesischen Wasserfolter. »Würde das nicht beinhalten, dass ich sie kenne, zumindest im weitesten Sinne?«
»Doch, wahrscheinlich.« Mit Raidins Grinsen hätte man Papier durchschneiden können. »Ihr Name war Angela Soto. Einundzwanzig. Sie ist hier auf der Insel aufgewachsen, hat aber die letzten Jahre in Manhattan gearbeitet. Eine bekannte Prostituierte, sowohl in der Stadt als auch in Suffolk. War nach einer Überdosis mehrmals auf Entzug, ist aber jedes Mal wieder abgestürzt.«
»Hatte sie
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