Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road
vorbei am Plakat des Klassikers von 1932 I Am a Fugitive from a Chain Gang mit Paul Muni, der nächste Woche lief. Zero lief fröhlich im Kreis und erklärte, dies sei einer seiner Lieblingsfilme, und warum Flynn nicht einfach die DVDs kaufte?
»Mir ist die große Leinwand lieber«, antwortete Flynn.
»Aber die Sitze bringen einen um.«
Flynn betrat die Straße und musste sich zweimal umsehen, bevor er den Wagen der Undercoverpolizisten entdeckte, der an der Ecke parkte. Von einer Telefonzelle rief er Sierra an.
»Warum zum Teufel hast du kein Handy?«, wollte sie wissen.
»Der Gedanke, dauernd erreichbar zu sein, stört mich.«
»Ich dachte, nach den letzten Wochen hättest du am liebsten Polizei, Feuerwehr und den nächsten Priester auf Kurzwahl.«
»Vielleicht wenn ich das nächste Mal in einem zugefrorenen Hafen schwimmen war«, erwiderte er. »Was Neues über Christinas Vater?«
Er hörte sie die Papiere durchblättern. »Sag noch mal. Was genau hat sie dir erzählt?«
»Meine Güte, du mit deinem ewigen ›Sag noch mal‹, du bist ja fast so schlimm wie die Bullen.« Flynn schloss die Augen und ging erneut den Abend seines Todes durch. »Sie sagte: ›Mein Vater war in den letzten Jahren krank. Er konnte sich nicht mehr um Nuddin kümmern. Seitdem bin ich für ihn verantwortlich. Ich habe die Bürde auf mich genommen. In unserer Familie nehmen wir diese Dinge ernst. Unser Name ist uns wichtig. Unsere Geschichte.‹«
»Wort für Wort genau so?«
»Ziemlich genau so.«
»Ich wundere mich, dass du dich daran erinnerst, nach allem, was du durchgemacht hast.«
»Ich erinnere mich sehr gut an den Abend. Shepard sagte zu seiner Frau: ›Dein Vater hatte in seinem Leben noch nie mit irgendetwas Recht, dieser verrückte Mistkerl. ‹«
Flynn wurde klar, dass Sierra auf ihn aufpasste, wie eine Mutter, die entscheidet, was gut für ihre Kinder ist.
Sie zögerte und räusperte sich. Flynn wusste, dass das nichts Gutes verhieß. Sie versuchte, sich die Angst nicht
anmerken zu lassen, aber es gelang ihr nicht. Er fragte sich, was zum Teufel Sierra dazu bewog, so um den hei ßen Brei herumzutanzen.
»Okay«, sagte Flynn. »Was ist los?«
»Christina Shepard kam als Crissy Bragg zur Welt. Das ›Crissy‹ ist offiziell, es steht in ihrer Geburtsurkunde. Ihr Vater, Martin Bragg, war Berufssoldat, ein Vollblutmilitär. Sie wuchs als Soldatenkind auf, hauptsächlich im Süden.«
»Der Akzent kam mir irgendwie bekannt vor.«
»Die Mutter starb an Krebs, als sie neun war. Stück für Stück. Erst haben sie ihr die Stimmbänder rausgenommen, dann eine Lunge, beide Beine, und so weiter.«
»Mein Gott.«
»Der alte Marty Bragg ging vor drei Jahren als Oberst in den Ruhestand, nachdem man Hirnkrebs bei ihm diagnostiziert hatte. Tumore. Sie wollten ihm den Schädel aufsägen, aber er lehnte jede Art von Behandlung ab.«
Flynn dachte, er würde dasselbe tun, wenn es so weit war. Nachdem er seine Mutter einen langsamen Tod hatte sterben sehen, mit einem Eingriff nach dem anderen, würde er sich weder bestrahlen lassen noch Chemotherapie machen, und sich auch nicht unters Messer legen. Dazu hatte er nicht die Kraft.
»Und vor sechs Monaten ist er krepiert?«
»Vor etwa zwei Jahren fing er an, in der Öffentlichkeit unberechenbar zu werden. Der Krebs fraß sich in den Frontallappen vor, was zu schweren Persönlichkeitsschwankungen führte. Er trug seine Waffen in der Öffentlichkeit, sah Russen, Koreaner und wen sonst noch
über seinen Kopf hinwegfliegen. Mit der Zeit wurde es schlimmer. Eines Tages ballerte er auf einem Schulhof herum. Die Kinder hatten Unterricht, und es wurde niemand verletzt, aber er brüllte etwas von Babys in den Brunnen werfen, also kam die Polizei und verhaftete ihn. Die Militärärzte griffen jedoch ein und holten ihn wieder raus. Ich nehme an, sie wollten ihn einliefern, stattdessen sprang er in den Chatalaha River, der sich in den tiefen Zypressensümpfen verzweigt. Wie du dir denken kannst, wurde die Leiche nie gefunden. Vielleicht hat Crissy Shepard deswegen im Präsens von ihm gesprochen.«
»Oder seine Leiche tauchte eines Tages bei ihr Zuhause auf, mit Nuddin im Schlepptau.«
»Ja, kann sein«, sagte sie. »Und jetzt macht er dich für ihren Tod verantwortlich. Und will sich rächen.«
»Ja, kann sein«, wiederholte Flynn.
Er versuchte, die einzelnen Teile zusammenzubringen, kam aber einfach nicht weiter. Wahrscheinlich war er einfach nicht verrückt genug, um klar sehen zu
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