Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road
schien friedlich zu schlafen.
Flynn nannte ihn zweimal beim Namen, erst leise, dann ein bisschen lauter. Flynn fing an zu reden, ohne allerdings genau zu wissen, was. Anscheinend entschuldigte er sich bei ihm. Flynn vermutete, dass er Shepard sein Leben verdankte. Wäre er nicht in den Keller gekommen, hätte seine Frau ihn mit Sicherheit abgeknallt und in den Sund geworfen.
Auf dem Weg nach Hause fing es an schneien. In seiner Wohnung bezog er Stellung am Fenster. Er beobachtete den Parkplatz und sah zu, wie die Autos weiß wurden. Von hinten schien Licht auf ihn. Ein Heckenschütze hätte leichtes Spiel mit ihm gehabt. Irgendwie hoffte er, jemand würde es versuchen. Schnee und Fenster reichten vielleicht aus, um den Schuss abzufälschen. Vielleicht sah er das Mündungsfeuer und fand eine Spur, die er verfolgen konnte. Stundenlang saß er regungslos da.
Sierra rief ihn kurz vor Mitternacht an und sagte: »Sie steht auf böse Jungs.«
»Tut das nicht jeder?«
Es klang anders als gemeint. Leicht gehässig. Sierra verstummte, und ihre Laune kühlte merklich ab. Sie hatte es bestimmt als besserwisserischen Seitenhieb auf ihr eigenes Liebesleben verstanden. Er musste verdammt noch mal aufpassen, was er sagte.
»Soll das ein Witz sein?«, fragte sie.
»Nein.«
»Ich frage noch mal, soll das ein Witz sein?«
»Nein, tut mir leid, wenn es so klang.«
»Findest du das komisch?«
»Ich meinte nicht dich. Sogar Betty Grable stand auf böse Jungs. Sie war mit George Draft zusammen. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man glauben, du wirst allmählich empfindlich.«
»Ich habe Probleme zu Hause«, sagte sie.
»Hat es mit Nuddin und Kelly zu tun?«
»Nein. Es ist mein Ältester, Trevor. Ich hab dir von ihm erzählt. Ich glaube, Nuddin hält ihn nachts wach. Sie spielen Videospiele. Ständig hängen sie vor dem blöden Computer. Oder sie basteln in der Garage an meiner alten Schrottkarre. Trevor schläft kaum, und die frühen Morgenstunden können ziemlich hart sein, wenn er mir hilft, die Kinder anzuziehen und Frühstück zu machen. Ich schätze, es ist wegen seiner Eltern. Er hat ihnen sogar geschrieben und versucht, den Kontakt wieder aufzunehmen. Er macht Rückschritte. Seine Therapie läuft auch nicht so gut.«
»Er geht nicht zu Mooney, oder?«
»Nein, und hör auf, den Mann schlechtzumachen. Vielleicht habe ich Trevor zu früh zu viel Verantwortung übertragen, aber es schien ihm gutzutun.«
»Du meintest, er würde sich mit Nuddin identifizieren.«
»Genau, weil beide in ihrer Vergangenheit unter Missbrauch gelitten haben. Nuddins Narben erinnern ihn wahrscheinlich an seine eigenen. Er ist immer noch für die anderen Kinder da, kümmert sich um Wäsche und Geschirr, räumt auf. Aber ich mache mir Sorgen, dass ich ihn ausnutze, indem ich ihm so viel auflaste.
Es kann sein, dass es meine Schuld ist. Vielleicht ist es besser für uns alle, wenn ich jemanden einstelle, der auf Nuddin und die anderen aufpasst, und Trevor irgendwo einen Teilzeitjob besorge, wo er Mädchen kennenlernt und mehr soziale Kontakte hat.«
»Schreiben seine Eltern zurück?«
Sie zögerte einen Augenblick zu lange. »Nein.«
»Du fängst die Brief ab, gib es zu.«
»Willst du jetzt etwas über deine kleine Freundin erfahren oder nicht?«
Einerseits wollte er das, andererseits auch nicht. Er sah Bragg in Sierras Haus kommen und seinen Sohn quälen. Was war wohl in Trevors Leben vorgefallen, dass Nuddins grauenhafte Narben ihn derart beschäftigten? Wieder holte ihn die Vergangenheit ein. Sie würde ihn nie zufrieden lassen, er konnte sich ihr genauso gut stellen.
»Schieß los.«
»Emma Waltz, dreimal verheiratet, dreimal geschieden, immer den Mädchennamen behalten. Keine Kinder. Es gab jede Menge Ehestreit, die Polizei war ständig im Haus. Sie hat mehr als einmal Prügel eingesteckt und deswegen auch einige Zeit im Krankenhaus verbracht. Das bekannte Schema, aber nichts Ernsteres, so weit ich sehen kann.«
»Hast du ihre Adresse?«
»Ich finde, du solltest dich von ihr fernhalten.«
»Natürlich. Die Adresse?«
»Du machst ebenfalls Rückschritte. Du musst nach vorn sehen.«
»Du hast nichts von dem mitbekommen, was ich gesagt habe, Sierra.«
»Ich habe es mitbekommen, und ich habe dich gesehen, und deswegen solltest du auf mich hören.«
»Ihre Adresse?«
»121, Dolan Street, Massapequa.«
»Danke. Ich komme morgen ins Büro«, klärte er sie auf. »Ich habe einiges an Arbeit.«
»Du willst nur
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