Schmerzlos: Thriller (German Edition)
Luft. Abbie hatte das Steuer gepackt und versuchte, den Wagen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ihr war klar, dass sie die Brücke verfehlen mussten. Im letzten Moment hörte sie, wie die hintere Tür des Vans geöffnet wurde. Sie bremste noch einmal, kurbelte wie wild am Steuer, um den Van irgendwie vor dem Abgrund zu retten, und spürte, wie die Räder blockierten. Dann veränderte sich plötzlich die Perspektive und kippte zur Seite. Sie sah Sand und Himmel, Licht und Schatten. Und dann rutschten sie über den Rand der Schlucht.
Vor uns zuckelte ein Jeep dahin. Ich war bereits zwölf Kilometer gefahren, und das war das erste Fahrzeug, dem wir begegnet waren. Auf der anderen Seite des Maschendrahtzauns war nichts außer vertrockneten Büschen und Sand, die sich durch die Senke bis zu den weinroten Bergrücken zogen.
»Wie schalte ich Blaulicht und Sirene an?«, fragte ich.
»Überholen Sie ihn doch einfach«, sagte Brinkley.
Na gut. Ich schaltete das Licht ein, lenkte den Streifenwagen auf die linke Spur und zog an dem Jeep vorbei. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich mich köstlich über den Ausdruck auf dem Gesicht des Fahrers amüsiert. Noch einmal holte ich mein Handy aus der Tasche, als könnte ich ein Funksignal herbeizaubern, indem ich es aufklappte. Aber Pech gehabt. Kein Netz.
Ich starrte die Schrotflinte an, die neben dem Armaturenbrett in einer verschlossenen Halterung steckte.
»Ich weiß nicht, was für Waffen Coyote bei sich hat«, sagte ich.
»Außer der Schrotflinte habe ich noch meine Dienstwaffe und eine zweite Pumpgun im Kofferraum.« Er musterte meinen Vater. »Können Sie mit so was umgehen?«
»Ja.« Mein Vater beugte sich zum Gitter vor. »Evan, wenn es Ärger gibt, bleibst du im Wagen.«
»Hat der Wagen kugelsicheres Glas?«
»Nein«, sagte Brinkley. »Es wäre also besser, wenn Sie den Kopf unten behalten.«
Ich nickte. Wir fuhren über einen Hügel und erreichten die Rock Creek Bridge. Der Highway vor uns lag da wie eine schwarze Peitsche, die ins Leere knallte. Wo waren sie?
Abbie hörte den Kühler zischen und roch Benzin. Sie bewegte sich nicht. Über sich sah sie den Himmel, der das V am oberen Ende der Schlucht ausfüllte. Ganz weit oben war die Brücke.
Der Van war umgekippt und lag auf ihr. Sie konnte die offene Fahrertür und die zersplitterte Windschutzscheibe ausmachen, aber von sich selbst konnte sie unterhalb der Hüfte nichts mehr erkennen. Sie war doch ein kräftiges Mädchen. Wie konnte dann der Van flach auf dem Boden liegen, obwohl sie daruntersteckte? Dieser Schrotthaufen von einem Auto war einen Dreck wert.
Hoch über ihr fuhr ein Wagen über die Brücke. Kieselsteine rieselten den Abhang der Schlucht hinunter.
Wo war es? Dieses Ding aus dem Spiegel? Sie hob den Kopf, doch das fühlte sich an, als würde ihr jemand eine Machete über die Stirn ziehen.
Sie legte sich wieder hin. Nach einer Sekunde flüsterte sie: »Tommy?«
Abbie hörte ein blubberndes Geräusch. Sie hatte Blut im Mund, aber das war es nicht. Das Geräusch ertönte jedes Mal, wenn sie Luft holte. Als sie den Arm reckte, hing ihre Hand schlaff herunter. Das linke Handgelenk war gebrochen. Als sie die rechte Hand auf ihre Brust legte, konnte sie das Blut spüren. Es war nicht so, als würde sie aus einem kleinen Schnitt bluten. Es fühlte sich wie eine vollgesogene Windel an. Sie hob die Hand, sodass sie sie sehen konnte. Das Blut war dunkelrot, fast braun.
Im Innern des Vans knirschte etwas, und der Rahmen des Fahrzeugs drückte auf ihre Hüften. Sie schrie auf.
»Abbie.«
Das war Tommy. Der Van knirschte wieder, und sie stöhnte.
»Nicht bewegen«, sagte sie.
Langsam, ganz langsam erschien im offenen Türrahmen über ihr Tommys Kopf. Seine Augen waren zugeschwollen, und die Nase bestand nur noch aus Brei. Aus einem seiner Ohren rann Blut.
»Tut mir leid«, krächzte er. »Wo bist du?«
»Hier unten. Wo ist dieses Ding?«
»Ich weiß nicht. Ich kann nichts sehen.«
»Geh runter von mir.« Sie war nicht gern unhöflich. »Bitte.«
»Ich kann nur hier raus. Tut mir leid.«
Er rollte sich auf den Rücken und suchte nach einem Halt für sein Bein, um sich durch den Türrahmen schieben zu können. Jetzt hatte sie Tommy gut im Blick. Er ruhte auf der zersplitterten Windschutzscheibe über ihr. Eines seiner Beine und beide Arme waren gebrochen.
»Wo ist Valerie?«, sagte Abbie. »Ist sie im Van?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie schluckte und schmeckte Blut. »Wo ist dein
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