Schmerzlos: Thriller (German Edition)
hart.
»Ist schon in Ordnung. Das Krankenhaus schickt einen Wagen, der mich zu meinem Termin bringen soll. Ich werde von medizinischem Personal umzingelt sein.«
»Aber nach dem Termin gehst du doch nicht allein nach Hause, oder? Ich weiß, dass eine Chemo furchtbar anstrengend ist …«
»Ich hab keinen Krebs.«
Mir blieb der Mund offen stehen. »Was dann?«
»Tja. Das ist die große Frage.«
»Weißt du es denn nicht?«
»Doch. Aber …« Ihre Stimme entfernte sich. »Ich muss aufhören. Kann ich dich wieder anrufen?«
»Aber natürlich. Und lass dir nicht zu lange Zeit damit.«
»Ich habe was im Kopf. Es frisst Löcher in mein Gehirn.«
Mir drehte sich der Magen um. Ich beugte mich vor und steckte den Kopf zwischen die Knie.
»Noch den einen oder anderen Tunnel mehr, und ich bin tot. Ein paar Monate vielleicht«, sagte sie. »Warum will dieses Schwein bloß noch mehr Löcher in mich bohren?«
Um acht Uhr war ich auf dem Weg zum Flughafen von San Francisco und stand mit meiner Mutter auf dem El Camino Real im Stau, auf der Höhe von Stanford. Das helle Licht und die leuchtend hellgrüne Bluse meiner Mutter zu ihren silbernen Haaren waren zu viel für meine Augen. Ich versteckte mich hinter meiner Sonnenbrille und schickte Jesse eine SMS mit meiner Flugnummer.
Meine Mutter warf einen Blick auf das Handy. »Es ist schrecklich nett von ihm, dass er nach Los Angeles fährt und dich abholt.«
»Dad hat ihn offenbar das Fürchten gelehrt und ihm eingehämmert, dass er in meiner Nähe bleiben soll.«
»Von wegen. Jesse gehört zu den wenigen Leuten, die dein Vater nicht so einfach einschüchtern kann«, erwiderte sie mit einem sarkastischen Lächeln. »Er ist einfach ein toller Mann, Ev.«
Ich lächelte etwas verhalten zurück. Sie machte einen Witz auf Kosten meines Vaters, und verpasste mir gleichzeitig ein paar Streicheleinheiten.
»Gut zu wissen.«
»Das meine ich ernst.«
»Auch das ist gut zu wissen.«
Ihr Lächeln verschwand. »Evan, du brauchst eure Beziehung mir gegenüber nicht zu verteidigen. Ich weiß, dass du ihn vom ersten Tag an geliebt hast.«
Ich wusste zwar nicht, warum, aber ich musste schlucken. »Danke, Mom.«
»Ach, Ev.«
Selbst jetzt tat es manchmal noch weh. Der erste Tag: Ich stand in einem Krankenhauskorridor und berichtete meiner Mutter am Telefon stammelnd von Jesses Unfall. Die Ärzte hatten ihn die ganze Nacht lang operiert und mit Metallstangen und Knochenschrauben wieder zusammengeflickt. Und Gott wollte mir einfach kein Zeichen geben, dass er mein Flehen erhört hatte. Mach diesen Albtraum wieder rückgängig.
Sie steuerte den Wagen durch den zähflüssigen Verkehr. »Du hast zwar schon immer voller Überraschungen gesteckt, aber dass du nach einem solchen Trauma etwas so Starkes aufgebaut hast, das hat mich nicht überrascht. Sondern mich bloß furchtbar stolz auf dich gemacht.«
Meine Augen brannten. »Jetzt bringst du mich in Verlegenheit.«
»Du hast das gefunden, was zählt. Er kann schließlich nichts dafür, dass er sich die Wirbelsäule gebrochen hat.«
Tränen stiegen mir in die Augen. Verdammt, ich wusste, dass ich gerade etwas gestresst war, aber das war doch lächerlich. Ich wies auf ein kleines Einkaufszentrum vor uns.
»Können wir da kurz halten? Ich brauch ein paar Sachen.« Es war eine gute Gelegenheit, um das Thema zu wechseln. »Papiertaschentücher und so.«
Meine Mutter setzte den Blinker. »Gute Idee. Außerdem Vitamine und ein paar Cräcker, damit sich dein Magen endlich mal beruhigt.«
Ach ja, und geben Sie mir doch bitte noch zehn Stunden Schlaf, ein Paar italienische Schuhe und vielleicht zwei Wochen in einem Wellnesshotel auf den Bahamas. Sie hielt vor dem Drugstore. Ich wischte mir die Augen und stieg aus.
Kurz vor dem Eingang des Drugstores klingelte mein Handy.
»Evan! Wo warst du denn bloß?«
Als meine Mutter meinen Gesichtsausdruck bemerkte, hielt ich ihr das Telefon hin, damit sie Taylors Stimme hören konnte.
»Ich hab dir ein paar Fotolayouts vorbeigebracht, die du dir anschauen kannst, aber an den Texten arbeite ich immer noch«, sagte sie. »Es ist gar nicht so leicht, was Gutes zu schreiben.«
Wir betraten den Drugstore und gingen an den Kassen vorbei. »Ja, manchmal kann das in Arbeit ausarbeiten, wenn man ein Buch schreibt. Diese ganzen Wörter. Was willst du?«
»Die Zwillinge. Hast du was dagegen, wenn ich sie mir mal ausborge?«
»Carlos und Miguel?«
»Ich will eine Fotostrecke mit Baseball machen. Du
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