Schmetterlinge im Gepaeck
selbst derjenige war, der sich getrennt hat. Und ich bin ziemlich sicher, dass ich mich getrennt habe. Zumindest habe ich den Anfang gemacht.
Und dann hat er besser weitergemacht.
Ich fühle mich schrecklich, weil das Ende so furchtbar war und weil ich nicht ehrlich zu ihm gewesen bin, als wir noch zusammen waren. Ich will mich entschuldigen. Vielleicht werde ich dann diese schlechten Gefühle los und kann die Sache abhaken. Vielleicht tut es dann nicht mehr so weh, wann imme r mir sein Name in den Sinn kommt. Ich habe mehrere Nachrichten auf seiner Mailbox hinterlassen, aber er hat nicht zurückgerufen. Und er ist immer noch aus der Stadt verschwunden. Ich war sogar im Plattenladen, um Johnny zu fragen.
Maxâ letzte Worte verfolgen mich. Bedeute ich ihm gar nichts? Jetzt schon?
Ich bin noch nicht bereit für Cricket und er hat ohnehin alle Hände voll zu tun. Da Aleck zu bedrückt ist, um sich um Abigail zu kümmern, ist sie anscheinend zu dem Schluss gekommen, Cricket sei die nächstbeste Alternative. Er ist zu Hause, weil er Winterferien hat â wir beide haben Winterferien â, und ich sehe ihn kaum, ohne dass Abby an seinem Arm hängt oder an seinen Beinen klebt. Ich kann dieses Gefühl, dieses Bedürfnis gut verstehen. Ich wünschte, ich hätte jemanden, an dem ich mich festhalten kann.
Lindsey hilft mir. Sie ruft jeden Tag an und wir reden ⦠nicht über Max. Nicht über Cricket. Aber sie hat mir schuldbewusst erzählt, dass sie zum Winterball geht. Sie hat Charlie gefragt und natürlich hat er Ja gesagt. Ich freue mich für sie.
Ein Mensch kann traurig und glücklich zugleich sein.
Ich habe mein Marie-Antoinette-Kleid, die Perücke und das Panier in Nathans Büro alias Norahs Zimmer geräumt. So brauche ich die Sachen nicht die ganze Zeit anzusehen. Vielleicht nähe ich das Kleid später fertig, zu Halloween nächstes Jahr. Dann kann Lindsey es anziehen. Aber ich bleibe dabei, dass ich nicht zum Ball gehe, und zumindest weià ich, dass das die richtige Entscheidung ist. Die letzten paar Wochen in der Schule waren schrecklich.
»Wer ist denn gestorben und hat dich zum Goth gemacht?«, spottete Marta und rümpfte die Nase über mein einheitlich schwarzes Outfit. Ihre Freundinnen, die am trendigsten angezogene Clique an der Harvey Milk Memorial, machten mit, und bald verhöhnten mich alle, ein Goth zu sein â was zwar nicht stimmt, aber für mich in Ordnung gegangen wäre. Nur dass mir jetzt die echten Goths vorwarfen, ein Blender zu sein.
»Ich bin kein Goth. Und ich bin auch nicht in Trauer«, beharrte ich.
Immerhin hilft mir mein neuer Kleidungsstil dabei, mich in meine Umgebung einzufügen. Im Winter verwandelt sich das Castro-Viertel nämlich in ein Meer aus schicken schwarzen Klamotten. Das Schwarz hilft mir dabei, zu verschwinden, und ich will im Moment nicht gesehen werden. Es ist schon erstaunlich, welchen Einfluss Kleidung darauf hat, wie man von anderen Leuten gesehen â oder eben nicht gesehen â wird. Neulich habe ich neben Malcolm aus dem Hot Cookie auf den Bus gewartet. Er hat mir schon Dutzende Regenbogenkekse mit M&Ms serviert, und wir diskutieren jedes Mal darüber, ob Lady Gaga oder Madonna besser ist. Aber an der Bushaltestelle hat er mich nicht erkannt.
Es ist merkwürdig. Ich, mein wahres Ich, ist vollkommen unbekannt.
Die wenigen Leute, die mich erkennen, fragen allesamt, ob es mir gut geht. Ich fühle mich zwar nicht gerade blendend, aber warum denken alle, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist, nur weil ich nicht verkleidet bin? Sogar der für uns zuständige Bankangestellte hat Nathan gegenüber erwähnt, er würde sich Sorgen um mich machen. Dad kam beunruhigt nach Hause, und ich musste ihm immer wieder versichern, dass es mir gut geht.
Mir gehtâs gut.
Mir gehtâs nicht gut.
Wie geht es mir?
All die blinkenden Weihnachtslichter und flackernden Chanukkaleuchter in den Fenstern der Wohnhäuser, des Eisenwarenladens, der Bars, Klubs und Restaurants ⦠Sie kommen mir unaufrichtig vor. Gezwungen. Und ich ärgere mich mehr als sonst über den Mann, der als sexy Mrs Weihnachtsmann verkleidet ist, vor dem Walgreens-Geschäft Zuckerstangen verteilt und Geld für wohltätige Zwecke sammelt.
Ich verbringe die Ferien damit, im Kino zu arbeiten â ich übernehme sogar zusätzliche Schichten, um meine Freizeit auszufüllen â und
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