Schmetterlinge im Gepaeck
Doch selbst durch die geschlossenen Fenster höre ich Abigails Geschrei. Cricket wippt sie auf seiner Hüfte auf und ab und redet ihr beruhigend zu, aber ihr Gesicht bleibt verzerrt vor Kummer.
Wo steckt denn Aleck? Oder seine Frau? Müssten die sich nicht um die Kleine kümmern?
Calliope platzt in Crickets Zimmer. Sie nimmt ihm Abigail ab und Abigail schreit noch lauter. Beide Zwillinge zucken zusammen und Calliope drückt sie wieder Cricket in den Arm. Abigail wird ein bisschen leiser, weint aber immer noch. Calliope sieht flüchtig in meine Richtung. Sie erstarrt und ich winke ihr schwach zu. Sie wirft mir einen finsteren Blick zu.
Cricket bemerkt ihren Gesichtsausdruck und sagt etwas, das sie davonstolzieren lässt. Kurz darauf geht das Licht in ihrem Zimmer an. Cricket wendet sich wieder mir zu und schuckelt immer noch das Baby, als Mrs Bell hereinkommt. Schnell ziehe ich meine Vorhänge zu. Was immer da drüben vor sich geht, seine Mom soll nicht denken, ich würde herumspionieren.
Ich setze mich wieder an meinen Englisch-Aufsatz, kann mich aber nicht konzentrieren. Wieder packt mich dieses abscheuliche schlechte Gewissen. Als ich die Bells letzte Woche in ihrer Einfahrt gesehen habe, hat sie eindeutig irgendetwas bedrückt. Ich habe Cricket gar nicht gefragt, was da los war. Er war eine ganze Nacht in meinem Zimmer und ich habe nicht mal daran gedacht nachzufragen. Während er sich immer voller Mitgefühl dafür interessiert, was in meinem Leben passiert. Ich bin so egoistisch.
Eine neue Wahrheit überkommt mich: Ich bin ihn nicht wert.
Sein Licht geht aus und die plötzliche Dunkelheit dient mir als Bestätigung meiner Befürchtungen. Er ist zu gut für mich. Er ist liebenswürdig und nett und ehrlich. Cricket Bell ist ein anständiger Mensch. Und ich verdiene ihn nicht. Aber ⦠ich will ihn trotzdem.
Ist es möglich, sich jemanden zu verdienen?
Er kommt fast zwei Stunden lang nicht zurück. Sobald er wieder da ist, mache ich mein Fenster auf und er seins. Erschöpfung hat sich zwischen seine Brauen gesetzt und er lässt die Schultern hängen. Sogar eine Haarsträhne ist ihm in die Stirn gefallen. Ich habe noch nie gesehen, dass Crickets Haare herunterhängen. »Es tut mir leid.« Er klingt müde und spricht ganz leise, weil er weiÃ, dass die Gefahr, meine Eltern könnten mich kontrollieren, nicht vorüber ist. »Das gestern Nacht. Das heute Morgen. Das heute Abend. Deine Eltern sind nicht hochgekommen, oder? Ich bin so ein Idâ«
»Bitte, hör auf. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«
»Ich weiÃ. Unsere Regel.« Er ist niedergeschlagen.
»Nein. Ich meine, du brauchst dich nicht für gestern Nacht oder für heute Morgen zu entschuldigen. Ich wollte dich dahaben.«
Er hebt den Kopf. Wieder einmal lässt sein durchdringender Blick mein Herz aussetzen.
»Ich ⦠Ich bin diejenige, der es leid tun muss«, rede ich weiter. »Ich wusste, dass irgendwas in eurer Familie los ist, und hab nicht nachgefragt. Es ist mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen.«
»Lola.« Seine Stirn furcht sich noch mehr. »Du machst gerade eine schwierige Zeit durch. Ich würde nie von dir erwarten, dass du jetzt auch noch an meine Familie denkst. Das wäre doch hirnrissig.«
Selbst wenn ich unrecht habe, setzt er mich ins Recht. Ich habe ihn nicht verdient.
Ich zögere.
Verdien ihn dir.
»Was ⦠Was ist denn los bei euch? Oder möchtest du es mir lieber nicht erzählen? Das würde ich auch verstehen.«
Cricket lehnt sich mit dem Ellbogen an den Fensterrahmen und blickt in den Nachthimmel. Der Stern auf seiner linken Hand ist vom Waschen verblichen, aber er ist immer noch da. Seine Antwort kommt so spät, dass ich mich schon frage, ob er mich gehört hat. Ein Nebelhorn trötet in der Ferne. Ein feiner Dunst kriecht in mein Zimmer und weht den Duft von Eukalyptus herein. »Mein Bruder hat letzte Woche seine Frau verlassen. Abby hat er mitgenommen, und jetzt bleiben die beiden hier, bis er sich überlegt hat, was er als Nächstes tut. Er ist nicht gerade in guter Verfassung, deshalb müssen wir uns mehr oder weniger um alle beide kümmern.«
»Wo ist seine Frau? Warum hat er das Baby mitgenommen?«
»Sie ist noch in ihrer gemeinsamen Wohnung. Sie macht gerade eine ⦠Lebenskrise durch.«
Ich schlinge die Arme um mich selbst. »Was
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