Schmetterlingsgeschichten - Chronik I - Genug geschlafen (German Edition)
und da war er jetzt.
Mmmh,
wo würde er sich denn als Ritter aufhalten?
Am
wahrscheinlichsten war der Dom. Ja, genau. Alte Geschichte, alte Ritter. Wenn
man wollte, konnte man da einen Zusammenhang erkennen. Ein bisschen weit
hergeholt? Quatsch.
Also
machte er sich auf zum Dom. Der war ja zum Glück nicht weit weg vom Bahnhof.
Der
Domvorplatz war mal wieder gut von Touristen besucht. Jens wollte einer Gruppe
von Japanern ausweichen, da packte ihn auf einmal eine Hand, und er schaute in
das Gesicht eines lächelnden, kleinen Mannes mit gelbem Gesicht.
»Du
Foto machen? Von Gruppe? Bitte!« Und schon hatte der Mann ihm den Apparat in
die Hand gedrückt und lief schnellen Schrittes in die Mannschaft, die eher wie
ein unruhiges Wiesel wirkte, das Angst hatte, irgendetwas zu verpassen.
Um
jeden Hals der Gruppenmitglieder hing mindestens ein Foto-Apparat. Einige
hatten auch zwei oder sogar drei am Körper baumeln.
Ihm
schwante Schlimmes. Nachdem er einmal abgedrückt hatte, rief irgendeiner aus
der Gruppe, wahrscheinlich der Foto-Apparat-Besitzer – er konnte es nicht
wirklich ausmachen: »Mehr! Bitte viele Fotos!!«
Also
hämmerte er, so oft es sein Finger zuließ, auf den Auslöser ein. Nach einiger
Zeit kam der Japaner wieder aus der Gruppe, nahm sich den Apparat, sagte »Danke«,
und die Gruppe bewegte sich wie eine Wasserballett-Mannschaft davon, die immer
wieder neue Formationen annehmend auf den Dom zusteuerte.
In
einigem Abstand ging er ebenfalls zum Dom und achtete darauf, ob er irgendwo
Schmetterlinge wahrnahm.
Außer
Tauben war aber nichts zu sehen.
Vor
dem großen Haupttor blieb Jens stehen und schaute sich um. Wenn er ein Ritter
wäre, was er ja war, würde er sich doch sicherlich drinnen aufhalten.
»Ach,
Humbug«, sagte er sich laut. Und was sollte er dann drinnen? Langsam sollte
Wansul mal kommen, damit er ihm ein bisschen helfen konnte.
Sein
Magen knurrte.
Er
ging zu einer kleinen, fahrbaren Imbiss-Bude, die auf dem Vorplatz stand und
kaufte sich eine Currywurst. Er hatte gerade das letzte Stück in den Mund
geschoben und wischte sich mit der Serviette den Rest aus den Winkeln, als die
japanische Gruppe aus dem Dom geschossen kam. Sie steuerte direkt auf ihn zu.
Er konnte gerade noch zur Seite springen, als die gut 40 Japaner den armen
Verkäufer belagerten und jeder eine Wurst haben wollte. Und der Verkäufer war
schnell. Es dauerte nicht lange, bis jeder Asiat eine Wurst in der Hand hatte.
Plötzlich stand der Mann mit dem Foto-Apparat wieder neben ihm und fragte: »Du!
Bitte Foto??«
So
machte er direkt noch mal Hunderte Bilder von essenden Japanern. Als der
Kurzfuß zu ihm zurückkam, fragte der ihn: »Du Bier mögen? Danke sagen wir dir
mit Bier! Okay?«
Jetzt
war Jens ein bisschen überrascht. Wo war Wansul?
Ȁhm,
eigentlich schon, aber…«
Der
Japaner ließ ihn nicht ausreden, packte ihn am Arm und sagte im Gehen: »Keine
Ausrede. Wir sind fertig und wollen dich bieren!
Wir
zahlen!« Das klang so endgültig, dass er gehorsam der Gruppe folgte. Sie
kehrten in eine viel zu kleine Kneipe ein und bestellten Kölsch. Er wusste,
dass Japaner Alkohol wesentlich langsamer abbauten als Europäer. Aber dass sie
direkt nach einem Glas schon betrunken waren, hätte er jetzt nicht vermutet.
Den
Japanern fiel im Gegenzug auf, dass der Deutsche das Kölsch wesentlich besser
vertrug als sie. Ohne dass es ihm bewusst war, wurde er immer mehr in die Mitte
der Gruppe gedrängt – und die Japaner himmelten ihn an. Sie wollten wissen,
wann er betrunken wurde. Und so reichten sie ihm immer wieder ein volles Glas
und sagten dabei sehr bestimmend: »Du trinken!!«
Bis
zum zehnten Glas gab er noch Widerstand und trank recht langsam. Ab dem elften
wurde sein männlicher Stolz geweckt, der ihnen unbedingt zeigen wollte, was für
ein echter Kerl er war. Ab dem 15ten fing er mit den Japanern an, zu singen…und
ab dem 20ten sprach er fließend japanisch.
Irgendwie
war sein Sichtradius auf gut einen Meter begrenzt, und Jens folgte einfach den
kleinen Schuhen, als sie das Lokal verließen.
Sie
waren nur kurze Zeit unterwegs, als vor ihm zwei Bettfüße auftauchten, die bei
näherer Betrachtung tatsächlich zu einem Schlafgestell gehörten.
Er
ließ sich wie ein nasser Sack fallen und war in Sekundenschnelle eingeschlafen.
» D er Lehrer war doch nicht erkältet,
der hat doch irgendwas gesagt!« »Nee, der hatte
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