Schmetterlingsjagd (German Edition)
gebaut haben. Es liegt in einer vor Jahren mit Paketklebeband versiegelten Kiste im Keller, die wir bei jedem Umzug mitnehmen.
Ich steige die Stufen zur Veranda hoch und will das Paket schon hochheben, als ich zurückweiche.
Kein Paket.
Eine Katze. Mager und räudig. Tot.
Ich sinke vor Schreck in mich zusammen, verspüre den Drang, mich zu übergeben. Dann zwinge ich mich, mir das Tier genau anzusehen. An ihrem Körper klebt getrocknetes Blut, aus dem Hals sickert irgendetwas krank und übel riechendes. Ein Zettel ist an ihren Hals geheftet.
Mit zitternden Händen reiße ich ihn ab. Ich versuche, langsam zu atmen, und endlich kann ich die Worte lesen.
JETZT WEISST DU, WAS NEUGIER ANRICHTEN KANN.
SEI VORSICHTIG, ODER DU ENDEST WIE DIESE KATZE.
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Kapitel 8
Ich schaffe es kaum auf die Veranda, bevor ich mich über das weiß getünchte Geländer übergebe. Ich breche auf dem Boden zusammen, ich zittere, mein Hals brennt, dann tip tip tip, Banane und durch die Haustür, dabei ziehe ich mein Handy aus der Jackentasche. Neun-eins-eins. Ich sage es noch zwei Mal laut und wähle. Während es klingelt, die langen schweren Sekunden, bis jemand abnimmt: neun-eins-eins, neun-eins- eins.
Klick: Eine Männerstimme, tief und kehlig: «Neun-eins-eins. Sie haben einen Notfall?»
Die Worte kommen aus meiner Kehle wie herausgewürgte Scherben. «Ich – jemand. Jemand …» Jetzt habe ich Schluckauf und versuche, einigermaßen deutlich zu sprechen – «… hat eine Katze umgebracht. Es gibt einen Todesfall. Eine tote Katze auf meiner Veranda.»
Ein Seufzen am anderen Ende der Leitung. Ein Summen. «Eine tote Katze, Miss? Und wo genau befinden Sie sich?»
«Lakewood. Meine Veranda – sie liegt auf meiner Veranda. Lakewood.»
Eine Pause. «Lassen Sie mich das zusammenfassen. Eine Katze ist auf Ihrer Veranda gestorben? Irgendwo in Lakewood. Ich fürchte, das ist ein Fall für den Tierschutzver…»
«Nein!», schreie ich und koche vor Wut. «Eine Katze wurde auf meiner Veranda getötet. Sie ist nicht gestorben. Sie wurde umgebracht . Und daran hing ein Zettel …»
Der Mann am anderen Ende der Leitung unterbricht mich. «In Ordnung, beruhigen Sie sich, Miss. Das klingt wie eine Art schlechter Scherz. Haben Sie Streit mit irgendjemandem? Vielleicht mit einem Exfreund oder mit einem jetzigen …»
Ich lege auf.
Ich drücke noch einmal auf «Auflegen» . Und noch einmal, damit es drei ergibt. Ich sehe die Katze durch das Fenster und muss mich wieder krümmen, übergebe mich fast, schaffe es aber noch gerade, mich zusammenzureißen. Dann gehe ich in die Küche und hole eine Mülltüte aus dem Schrank unter dem Waschbecken. In meinem Kopf läuft eine Endlosschleife. Die Katze ist aus dem Sack , denke ich. Sieh selbst, was Neugier anrichten kann. Unter dem Waschbecken herrscht ein echtes Chaos, grauenvoll. Ich klopfe ein Mal tip tip tip, Banane , trete mit der Tüte auf die Veranda und lege sie um die Katze, verziehe das Gesicht und lasse die kleine Leiche vorsichtig hineingleiten. Dann lege ich den toten Körper in eine dunkle Ecke des Vorgartens neben einen Baum. Ich begrabe ihn später im hinteren Garten. Meine Hände zittern wie verrückt, mir ist immer noch übel. Ich klopfe einmal tip tip tip, Banane , gehe zurück ins Haus und ordne die Putzmittel unter dem Waschbecken nach Farbe und Größe. Ich teile sie in drei Gruppen à drei Flaschen und verbanne die übriggebliebenen zwei Flaschen – dick, schwer und weiß – in einen anderen Küchenschrank, weil sie nicht dazu passen und ich es einfach nicht ertrage, sie neben den schlanken, transparenten Flaschen zu sehen.
Ich bin immer noch wacklig auf den Beinen, und mir ist schwummrig. Also gehe ich nach oben in mein Zimmer und hänge alle zwölf antiken Messingwanduhren an die gegenüberliegende Wand. Dabei atme ich alle sechs Sekunden ein und aus. Ich nehme eine der Uhren mit den römischen Ziffern (neun insgesamt, drei mit normalen Ziffern), die ich aus einem muffigen kleinen Trödelladen in Baltimore gerettet habe, und drücke sie gegen meine Brust, damit ich spüren kann, wie unsere Herzen im Gleichklang schlagen, wie Zwillingsmetronome.
Sechs Sekunden ein, sechs Sekunden aus – ich habe keine Wahl mehr. Vermassel es nicht. Wenn ich es vermassle, auch nur eine Sekunde zu spät atme, muss ich den ganzen Atemzyklus von vorn beginnen. So lautet die Regel. Die unumstößliche Regel.
Jetzt muss die erste Uhr mit römischen Ziffern dort
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