Schmetterlingsjagd (German Edition)
hängen, wo die große Sonnenuhr aus Minnesota hängt, und jede einzelne Faser in mir bis hin zum kleinsten Atom weiß, dass ich das in Ordnung bringen muss – augenblicklich . Wie konnte ich übersehen, dass sie vollkommen falsch hängen? Ich bringe das in Ordnung. Dann nehme ich die Kaminuhr mit den drei Vögelchen vom Flohmarkt in Cleveland von der Wand, um sie abzustauben. Drei Mal schnell über das fleckige Dach gewischt, dann zurück damit an die Wand.
Sechs Sekunden ein, sechs Sekunden aus: Ich vermassle es nicht. Ich kriege es hin. Es tut meinem Magen gut, etwas richtig zu machen. Es tut auch meinen Händen gut.
Ich trete zurück und begutachte die neugeordnete Wand. Zwölf Uhren. Die Zahl schwirrt in meinem Kopf herum, rast durch jede einzelne meiner Gehirnwindungen. Zwölf Uhren. Gerade beginnt die Zahl ihre beruhigende Wirkung zu entfalten, da drängt sich die tote Katze wieder in meine Gedanken. Es ist, als schriebe sich die Nachricht wie von Zauberhand in die Luft, direkt vor meinen Augen: Jetzt weißt du, was Neugier anrichten kann … Ich sehe verfilztes Fell und Blut vor meinen Augen aufblitzen, die Holzplanken der Veranda, blutgetränkt, todgetränkt.
Ich habe den Schuss gehört. Ich bin weggerannt. Hat mich der Killer gesehen? Hat er mich erkannt? Er muss mich gesehen haben, mir gefolgt sein, ohne dass ich es geahnt, gesehen, gehört habe. Jetzt warnt er mich. Nein – er droht mir. Ich trete zum Fenster und suche mit den Augen die Straße ab – derjenige, der das hier getan hat, ist vielleicht immer noch in der Nähe, beobachtet das Haus, sieht mich vielleicht in diesem Moment.
Wolken türmen sich am Himmel auf. Vielleicht kommt ja ein Gewitter und wäscht das Katzenblut fort – wäscht alles fort.
Rums. Donner bricht aus dem regenverhangenen Himmel. Ich erschauere und beobachte die geparkten Autos und hohen Bäume. Die Straßenlaternen schalten sich eine nach der anderen ein.
Sapphires Mörder könnte überall sein.
Ich greife nach ihrem Schmetterling in meiner Jackentasche und schließe meine Hand darum. Etwas Heißes steigt meine Kehle hoch, und dann durchzuckt mich die Erkenntnis: Ich muss ihn finden, bevor er mich findet.
Wenn nicht, bin ich die Nächste.
***
Ich bleibe oben, ordne, stelle um, bis es im Zimmer stockdunkel ist. Die Medaillons aus Muranoglas lege ich auf das zweite Regalbrett über meinem Schreibtisch, eins nach dem anderen. Da höre ich, wie sich die Garagentür quietschend öffnet und schließt, wie sich ein Schlüssel im Schloss der Hintertür dreht und sie zufällt. Dads Aktentasche plumpst auf den Boden. Als ich mit der Neuordnung fertig bin – jeweils genau acht Zentimeter liegen zwischen den Medaillons –, kommen neue Geräusche, neue Gerüche: Klappern und Rumpeln in der Küche; kochende Nudeln und Butter und warme Dämpfe. Ich muss träumen, oder aus dem Nachbarhaus zieht ein derart intensiver köstlicher Geruch herüber, dass man glauben könnte, er käme aus unserer Küche. Meine Eltern kochen nicht – seit Oren starb, haben sie den Herd nicht angerührt. Jeden Abend bestellen wir etwas oder essen Sandwiches. Mom isst sowieso so gut wie nichts, und Dad ist fast nie vor zehn Uhr zu Hause. Ich habe bestimmt Halluzinationen.
Ich lasse mich von den leckeren Düften des eingebildeten Abendessens einhüllen, sie beruhigen mich, bis mir ein Satz von Flynt wieder einfällt, den er mit seiner tiefen, weichen Stimme gesagt hat: Wenn du kein Kunde bist oder Cocktails servierst, haben sie absolut kein Interesse. Ich bin sicher, er wollte nur, dass ich in der Sache mit dem Tens nicht weiterbohre, aber vielleicht ist es doch nicht ganz unmöglich. Etwas durchzuckt mich wie ein Blitz.
Ich setze mich im Bett auf und werfe meine mit Amseln bedruckte Bettdecke von mir. Nur weil Flynt es behauptet hat, bedeutet das noch lange nicht, dass es keine Möglichkeit gibt, sie dazu zu bringen, mit mir zu reden.
Vielleicht muss ich einfach nur Cocktails servieren.
Ich renne nach unten ins Badezimmer neben der Küche, wo Mom ihr Schminkzeug aufbewahrt. Immer wenn sie früher ausging, in jedem Haus, in dem wir je gewohnt haben, hat sie sich im Badezimmer im Erdgeschoss fertig gemacht. Sie behauptete, dort wäre das perfekte Abendlicht – ein bisschen weniger hell als in den anderen Zimmern, schmeichelnder, mehr «Filmstar». Ich kann mich noch erinnern, wie ich als kleines Kind hinter ihr stand und ihr dabei zusah. Sie bestäubte ihre Wangen mit rosafarbenem Rouge
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