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Schmetterlingsschatten

Schmetterlingsschatten

Titel: Schmetterlingsschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Bicker
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zurückgekehrt, als habe es den Nachmittag in der Stadt nie gegeben.
    »Ja, und?«
    »Elena, du verstehst das vielleicht noch nicht, aber ein Junge in dem Alter wird vielleicht… er wird eventuell versuchen, deine Unerfahrenheit auszunutzen. Und ich habe Angst, dass du dich dagegen nicht wehren kannst.«
    »Ich wollte schon nicht sofort mit ihm ins Bett springen, keine Bange.« Es verletzte Elena, dass ihre Mutter ihr so wenig vertraute. »Du bist genauso wie die anderen im Dorf auch«, fügte sie beleidigt hinzu.
    Die seufzte nur. »Ach, so was kann so schnell passieren. Bitte, sei vorsichtig. Triff dich mit Jungen in deinem Alter, ja?«
    Elena zuckte nur mit den Schultern, wandte sich ab und begann, die Treppe hinaufzusteigen.
    »Ich meine es doch nur gut!«, rief ihre Mutter hinter ihr.
    »Weiß ich«, erwiderte Elena, ohne sich umzudrehen. Sie ging ins Bad und schloss sich dort ein, bis sie hörte, dass ihre Mutter ins Wohnzimmer gegangen war. Dann kam sie heraus und schlüpfte in Lauras Zimmer. Doch als sie den Schreibblock beiseiteschob, war das Tagebuch verschwunden.
    Verwundert sah Elena unter allen Schulbüchern nach und zog sogar die Schublade auf, in der sie das Buch am Morgen gefunden hatte. Nichts. Sie suchte unter dem Tisch, in den anderen Schubladen, dann im Schrank, unter dem Bett, an allen möglichen und unmöglichen Stellen. Das Buch blieb verschollen. Jemand musste es fortgenommen haben. Ihre Mutter? Warum hätte sie das tun sollen? Am liebsten hätte Elena nachgesehen, doch sie konnte nicht einfach das Zimmer ihrer Mutter durchwühlen. Zumindest nicht, solange diese zu Hause war.
    Nachdenklich ging Elena in ihr Zimmer und ließ sich auf das Bett fallen. Ihre Augen wanderten einmal mehr über die Fotos an der Wand.
    Afrika… Sie schloss die Augen und dachte an die Savanne. An die weiten Ebenen mit ihren vereinzelten Bäumen, an Giraffen und Elefanten. Und an ihren Vater. Warum konnte sie nicht bei ihm leben? Es gab doch auch in Afrika Schulen. Und dort wäre sie weit fort von allem hier. Fort von den nervigen Nachbarn, die sich in ihr Leben einmischten. Fort aus dem grauen, trüben Haus, fort aus dem langweiligen Dorf. Fort von der Erinnerung an Laura. Fort von ihrer Mutter. Afrika…
    Erst, als sie in einem dunklen Zimmer wieder erwachte, bemerkte sie, dass sie eingeschlafen war. Die Leuchtziffern des Weckers neben ihrem Bett zeigten halb elf an. Das Haus war ruhig. Wahrscheinlich hatte ihre Mutter bemerkt, dass Elena eingeschlafen war, und war selbst zu Bett gegangen.
    Noch etwas schlaftrunken stand Elena auf und tappte zu ihrem Schreibtisch. Dort suchte sie unter einem Stapel Hefte und Zettel ihr eigenes Tagebuch heraus. Es wurde Zeit, dass sie die ganzen Erlebnisse der letzten Zeit festhielt. Und sei es nur, um ihre Gedanken zu ordnen. Aber das wollte sie nicht hier tun.
    Unter ihrem Bett zog sie die Picknickdecke hervor, die sie normalerweise ins Freibad mitnahm, dann stieg sie auf ihr Bett und schob das darüberliegende Dachfenster auf. Sie warf die Decke nach draußen und zog sich mit einem geschickten Klimmzug hinterher. Vorsichtig stieg sie die Dachschräge hinauf, bis sie den Schornstein erreichte. Dort breitete sie die Decke aus und machte es sich bequem, den Rücken gegen den Stein gelehnt, den klaren Sternenhimmel über sich, die schwach beleuchtete Straße zu ihren Füßen.
    Wie oft hatte sie mit Laura hier gesessen, heimlich in der Nacht? Früher war dies ihr geheimer Zufluchtsort gewesen, ihr nächtlicher Treffpunkt, an dem sie Dinge besprachen, von denen ihre Mutter nichts wissen durfte. Oder, wenn sie einfach nur die Sterne sehen wollten.
    Aber schon einige Zeit vor ihrem Tod war Laura nicht mehr auf das Dach geklettert. Es sei zu gefährlich, hatte sie gesagt, und auch Elena verboten, zum Schornstein zu gehen. Dabei war ihnen nie etwas passiert, wenn sie hier oben waren. Wenn Elena es sich recht überlegte, war Laura sowieso ziemlich ängstlich gewesen in den Wochen vor ihrem Unfall.
    Elena seufzte, zog die Knie an den Körper und legte das Tagebuch darauf. Der Schein der Straßenlaternen reichte gerade aus, um zu schreiben.
    Etwas huschte im Dämmerlicht über die Straße. Überrascht sah Elena von ihrem Buch auf. Sie hatte die Bewegung nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen. Jetzt lag die Straße wieder ruhig vor ihr. Trotzdem hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden.
    Vorsichtig legte sie das Buch beiseite, erhob sich auf Knie und Hände und robbte langsam zur Dachkante,

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