Schmetterlingsschatten
damit sie die Straße besser sehen konnte. Als sie so direkt hinuntersah und merkte, wie tief es vor ihr hinabging, zog sich ihr Bauch zusammen. Ganz ungefährlich war es jedenfalls nicht.
Unten konnte sie schemenhaft die Büsche des Vorgartens erkennen, die hohen Schatten der Platanen am Straßenrand und die Lichtinseln der Straßenlaternen. Eine Katze spazierte an der Hecke des Nachbargartens entlang, doch Elena war sich sicher, dass es etwas anderes gewesen war, das sie gesehen hatte. Größer als eine Katze. Ein Mensch.
Sie legte sich flach auf den Bauch und spähte angestrengt in die Nacht. Ob der Fremde sie gesehen hatte? Vielleicht war es ein Einbrecher. Oder ein Mörder,wisperte ihr eine Stimme in ihrem Kopf zu. Ihr Herz schlug schneller.
Da, da war es wieder. Ein Schatten tauchte hinter dem Stamm einer Platane auf. Es war tatsächlich ein Mensch. Er war dunkel gekleidet und hatte sich die Kapuze seines Pullovers über den Kopf gezogen, sodass Elena von oben sein Gesicht nicht sehen konnte. Langsam bewegte er sich auf ihr Haus zu. Ihr Herz begann zu rasen.
Was sollte sie tun? Ihn ansprechen? Das war sicher gefährlich. Ruhig liegen bleiben? Dann würde er vielleicht ins Haus kommen und ihrer Mutter etwas tun. Sie biss die Zähne zusammen und zwang sich dazu, ruhiger zu atmen. Sie durfte jetzt nicht unnötig in Panik geraten.
Ich muss die Polizei anrufen, schoss ihr durch den Kopf. Hoffentlich schaffe ich es bis zum Telefon, ohne dass der Kerl hier hereinkommt. Wo ist er denn überhaupt jetzt hin?Während sie nachgedacht hatte, war der Schatten aus ihrem Blickfeld verschwunden. Elena fröstelte.Sie stützte sich mit den Händen ab und schob sich noch ein kleines Stück weiter zur Kante, vielleicht konnte sie erkennen, wohin er gegangen war . . .
Ihre rechte Hand rutschte ab, für einen schrecklichen Moment glaubte Elena, das Gleichgewicht zu verlieren, dann prallte sie mit dem Handballen schmerzhaft gegen die Regenrinne und fing sich daran ab. Ein lautes Scheppern zerriss die Stille der Nacht. Da, eine Gestalt unten vor dem Haus. Sie fuhr herum, sah hastig nach oben und schoss dann über die Straße davon. Elena konnte hören, wie im Nachbarhaus das erste Fenster geöffnet wurde.
Rasch kroch sie zurück zum Schornstein und von da zu ihrem Dachfenster. Hoffentlich sahen Bachmanns sie nicht, sonst würden sie es bestimmt ihrer Mutter sagen und dann war es mit Elenas Ausflügen aufs Dach vorbei. Sie warf Buch und Decke auf ihr Bett und ließ sich dann selbst hinuntergleiten. Bevor ihre Mutter besorgt in ihr Zimmer sah, hatte sie sich wieder ins Bett gelegt und blinzelte betont verschlafen in das Licht.
»Was ist los?«
»Bachmanns behaupten, da wäre jemand vor unserem Haus gewesen. Ich wollte nur mal sehen, ob es dir gut geht.«
Oder, ob ich noch brav bin. » Ich bin okay«, antwortete sie und gähnte. »Gute Nacht.« Damit drehte sie sich um und schloss die Augen.
Doch nachdem ihre Mutter das Zimmer verlassen hatte, lag sie noch lange wach.
Kapitel 5
Wie sollte er nur hineinkommen? Diese verflixten Nachbarn ließen das Haus ja nicht aus den Augen. Und der Versuch neulich Nacht war gründlich fehlgeschlagen. Vielleicht gelang es, wenn das Mädchen einmal nicht zu Hause war. Aber wie sollte er dann herausfinden, was sie wusste? Ob sie es schon gefunden hatte?
»Lass uns einen Ausflug machen!«, schlug ihre Mutter am nächsten Morgen vor. »Wir fahren zum Stausee und mieten uns ein Boot, ja?« Sie gab sich Mühe, unbeschwert und fröhlich zu klingen, doch Elena durchschaute sie. Sie wollte Elena vom Dorf fernhalten. Vielleicht auch nur von Tristan.
Doch andererseits liebte Elena den Stausee und sie würde sonst nur im Haus herumsitzen und sich den Kopf über die gestrige Nacht zerbrechen. Tagsüber würde der Einbrecher bestimmt keinen zweiten Versuch unternehmen, bei ihnen einzusteigen. Das hoffte sie zumindest.
»Können wir Vivienne mitnehmen?«, fragte sie deswegen. Auf diese Weise würde der Ausflug sogar richtig Spaß machen.
»Wenn ihre Eltern es erlauben.«
Elena rief Vivienne an und eine Stunde später waren sie auf dem Weg zum Stausee.
Am liebsten hätte Elena Vivienne von dem Einbrecher erzählt, und von dem verschwundenen Tagebuch, aber solange ihre Mutter in der Nähe war, wagte sie nicht, darüber zu reden.
Macht nichts, bis morgen hat das auch noch Zeit,ging ihr durch den Kopf, als sie in ihrem Boot dahintrieben, die Füße ins kühle Wasser baumeln ließen und Eis aßen. Die
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