Schmetterlingsschatten
Vielleicht fuhr das Auto ja weiter und ließ sie in Ruhe.
Aber der Wagen bremste ab und hielt am rechten Straßenrand an. Ein uniformierter Mann stieg aus und winkte der Clique anzuhalten.
»Scheißbullen«, schimpfte Tristan leise. Doch dann stoppte er den Roller und der Polizist kam zu ihnen herüber. Mit Schrecken erkannte Elena Herrn Grevenstein. Augenblicklich wünschte sie sich, unsichtbar zu sein.
»Hallo, Tristan.« Herr Grevenstein sprach freundlich, aber Elena konnte deutlich spüren, dass er es nicht so meinte. »Wo kommt ihr denn zu so später Stunde her?« Wie beiläufig sah er sich zwischen den Jugendlichen um.
»Och, wir haben nur eine Spritztour gemacht, sind so durch die Gegend gefahren.« Elena staunte, wie ruhig und überlegen Tristan klang.
»Ah ja.«
Elena spähte über Tristans Schulter hinweg und bemerkte, dass Herr Grevenstein Julian und Jennifer aufmerksam musterte. Beide hatten lange Haare, die immer noch feucht über ihren Rücken hingen. Elena biss sich auf die Lippen.
»Schwimmen wart ihr wohl auch, was?«, fragte Timos Vater in unschuldigem Tonfall. Elenas Herz schlug schneller. Es gab kein Schwimmbad hier in der Nähe, nur den See, und dort war Baden verboten.
»Nein, wir haben eine Wasserschlacht gemacht«, erwiderte Tristan gelassen. Auf dieses Stichwort hin griff Patrick in seinen Rucksack und förderte eine armlange Wasserpistole zutage. »Sie wissen schon, Geländespiele. Wie bei den Pfadfindern«, fuhr Tristan fort.
»Du warst bestimmt nie bei den Pfadfindern, du kleiner Lügner«, fauchte Timos Vater. Elena zuckte erschrocken zusammen. So hatte sie Herrn Grevenstein noch nie erlebt. Sie versuchte, sich noch kleiner zu machen, aber es war zu spät. Er hatte sie bereits entdeckt und offensichtlich trotz des Helms erkannt. Mit zwei schnellen Schritten war er an der Seite des Rollers.
»Elena, was machst du denn hier?« Er klang genauso überrascht wie wütend. Elena zog den Kopf zwischen die Schultern und antwortete ihm nicht.
»Habe ich dir nicht gesagt, dass das nicht der richtige Umgang für dich ist?« Er trat noch einen Schritt auf sie zu und packte sie an der Schulter. Jetzt wurde es Elena doch zu viel. Sie schüttelte seine Hand ab, schob das Helmvisier hoch und funkelte ihn wütend an.
»Sie sind nicht mein Vater, Sie haben mir gar nichts zu sagen!«, gab sie zurück. Grimmige Befriedigung erfüllte sie. Das hatte sie ihm schon immer mal sagen wollen.
»Nein, dein nichtsnutziger Vater ist ja nie da, um sich um dich zu kümmern. Irgendjemand muss deine Mutter ja unterstützen, nach allem, was sie durchgemacht hat.«
Irgendetwas in Elena versteifte sich. Woher nahm er sich das Recht, so mit ihr zu sprechen? Was mischte er sich überhaupt in ihre Familienangelegenheiten ein? Er war genau wie die Nachbarn. Als wäre ihre Familie weniger wert als andere, nur weil ihr Vater in Afrika arbeitete. »Mein Vater ist nicht nichtsnutzig«, erwiderte sie kühl.
Timos Vater schüttelte den Kopf. »Elena, hör zu, du willst doch nicht so enden wie deine Schwester, oder?«, versuchte er es in einem freundlicheren Tonfall. »Geh nach Hause zu deiner Mutter, die macht sich bestimmt furchtbare Sorgen!«
»Und wennschon. Ich bin alt genug, um zu wissen, was ich tue.« Sie konnte es kaum glauben. Hatte sich denn das ganze Dorf gegen sie verschworen?
Herr Grevenstein seufzte, dann zuckte er mit den Schultern. »Du kannst sicher sein, dass deine Mutter von diesem Vorfall erfahren wird, Elena. Und wenn ich es ihr persönlich sagen muss.«
Elena verschränkte die Arme vor der Brust und tat so, als mache ihr das überhaupt nichts aus. Sollte er doch ihrer Mutter petzen. Was konnte die schon machen? Im schlimmsten Fall bekam Elena eben noch einmal Hausarrest.
Herr Grevenstein wandte sich endlich ab. »Ihr verschwindet besser alle aus dieser Gegend«, sagte er zu niemand Bestimmtem. »Wir führen hier Ermittlungen durch, da steht ihr nur im Weg. Es sei denn«, er machte eine betont dramatische Pause, »ihr wisst etwas.«
»Wir haben das Mädchen noch nie gesehen, das haben wir schon gesagt«, antwortete Tristan. Seine Stimme zitterte, bestimmt war auch er wütend.
»Dann haut ab von hier!«, brummte Timos Vater und ging zurück in Richtung seines Autos.
Tristan ließ den Motor an. »Schönen Abend noch!«, rief er dem Polizisten zu, als er an ihm vorbeifuhr. Elena erhaschte einen Blick auf das Gesicht von Herrn Grevenstein. Er zog eine Grimasse, als wäre er kurz davor, Tristan zu
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