Schmetterlingsschatten
die Sache mit dem Jungen. Aber er hatte schließlich nicht zulassen können, dass er redete. Er fragte sich, was der Kerl überhaupt wusste und woher. Allmählich wurde die Zeit knapp. Vielleicht sollte er möglichst schnell verschwinden. Aber wohin?
Er hatte keine Wahl. Er musste es wagen.
Noch als sie auf der anderen Straßenseite war, konnte Elena sehen, dass etwas absolut nicht stimmte. Der ganze Schulhof war gerammelt voll mit Schülern, die unschlüssig in kleinen Grüppchen herumstanden und diskutierten. Einige Lehrer bewegten sich zwischen ihnen herum, blieben mal hier, mal dort stehen, machten aber keinerlei Anstalten, jemanden ins Schulhaus zu schicken.
Neugierig, aber auch beunruhigt, überquerte Elena die Straße und trat durch das Schultor. Sie hielt Ausschau nach irgendjemandem, den sie fragen konnte, was passiert war. Doch sie entdeckte nur Timo, der mit seinem Kumpel Gero in der Nähe stand und sich rasch umdrehte, als er Elena sah. Ein kleiner Stich durchzuckte Elena bei dem Anblick. Das kümmert mich überhaupt nicht, beschloss sie und begann, nach Tristan zu suchen. Ich habe jetzt andere Freunde.
Doch die Clique musste sich irgendwo im Gewühl befinden, wo Elena nicht an sie herankam. Stattdessen lief sie unvermittelt Vivienne über den Weg. Zögernd blieb sie stehen. »Vivienne…« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Noch nie hatte sie sich mit ihrer Freundin dermaßen zerstritten wie am Tag zuvor.
»Schon gehört?« Vivienne war wieder einmal total aufgeregt, ihre Wangen waren so rot, als wäre sie gerannt. Sie schien überhaupt nicht mehr an den gestrigen Streit zu denken. Oder sie hatte beschlossen, ihn zu ignorieren. Elena spürte Dankbarkeit in sich aufsteigen. Irgendwie war Vivienne die Beste.
»Was? Was ist denn überhaupt los? Warum stehen alle draußen? Gab’s ’ne Bombendrohung?«, witzelte Elena, aber Vivienne verzog nur das Gesicht, statt zu lachen.
»Der Direktor hat eine Schulversammlung einberufen, gleich in der ersten Stunde, in der Aula.« Vivienne zeigte auf das dunkelrote Ziegelgebäude, das etwas abseits der Schule stand. »Irgendetwas Furchtbares ist passiert. Ich habe gehört, ein Schüler ist umgebracht worden.«
»Umgebracht?« Elena fühlte sich, als hätte ihr jemand unvermittelt in den Bauch geboxt. Sie schluckte. Laura, das fremde Mädchen, das alles konnte doch kein Zufall sein. »Wer?«, brachte sie hervor.
Vivienne starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Ich weiß es nicht«, erwiderte sie. »Ich weiß nicht einmal, ob das überhaupt stimmt, mit dem Mord. Vielleicht…«
Doch sie kam nicht weiter. Einer der Oberstufenlehrer war zu ihnen getreten. »Geht jetzt rein, die Versammlung fängt an!«, wies er sie kurz an, bevor er zu der nächsten Schülergruppe weitereilte.
Elena und Vivienne begannen, sich durch das Gewühl von Schülern in Richtung der Aula zu schieben.
Das Gebäude war alt und karg, es gab nur diesen einzigen großen Saal direkt im Erdgeschoss. Gegenüber dem Eingang befand sich ein hölzernes Podium, auf dem bei Schulkonzerten die Sänger und Musikanten auftraten. Jetzt war es bis auf ein schlichtes Rednerpult leer.
Niemand hatte sich die Mühe gemacht, im Zuschauerraum Stühle aufzustellen, so drängten sich die Schüler irgendwie zusammen, möglichst weit von der Bühne entfernt. Manche setzten sich kurzerhand auf den Boden und blockierten so den Platz für die, die noch hereinkamen. Es herrschte ein heilloses Chaos.
Elena und Vivienne suchten sich ein Plätzchen an der Wand, nicht weit von der Bühne, und ließen sich dort nieder. Es war heiß und stickig in der Aula und die große Menge von Schülern machte das nicht gerade besser. Elena hoffte, dass ihr nicht schlecht wurde, bevor das hier vorbei war.
Endlich trat der Direktor hinter das Rednerpult und klopfte prüfend auf das Mikrofon, das daran angebracht war. Das Dröhnen, das daraufhin aus den Lautsprechern drang, betäubte Elenas Ohren, aber es sorgte auch dafür, dass die Schüler nach und nach ruhig wurden. Einige Lehrer wanderten durch den Raum und sorgten dafür, dass auch der letzte aufpasste. Schließlich war nur noch das Scharren von Füßen und ein gelegentliches Kichern zu hören.
Der Direktor räusperte sich. Elena fand, dass er ungewöhnlich blass aussah und fast ein wenig verunsichert. Ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Ob wirklich ein Mord geschehen war? War das Opfer wieder ein Mädchen?
»Liebe Schüler«, begann der Direktor. Ein paar
Weitere Kostenlose Bücher