Schmetterlingsschatten
bin.«
»Schon okay.« Vivienne bohrte ihr den Zeigefinger in die Seite. »Lass mich los, der Bus kommt!«
Die Fahrt in die Stadt verlief schweigsam. Elena starrte aus dem Fenster, ließ die Landschaft an sich vorbeiziehen und fragte sich, wie es wäre, einfach mit diesem Bus immer weiter zu fahren, fort aus Frankenach, fort von ihrer Mutter und der Schule.
Vivienne sagte auch nicht viel. Mit einem etwas schuldbewussten Gesichtsausdruck blätterte sie in ihrem Biologiebuch, als wolle sie nachsehen, was sie heute verpasste. Vielleicht wollte sie auch einfach nicht reden und das Buch war nur eine Ausrede. Elena war es egal. Sie wusste, dass zwischen ihnen alles wieder in Ordnung kommen würde, auch wenn es noch einige Zeit dauerte. Aber ihre Freundschaft hatte schon ganz andere Krisen überstanden.
Der Bus tuckerte zwischen Wäldern und Feldern dahin, passierte dann die ersten Häuschen eines Vorortes, schlingerte durch einen Kreisverkehr und nahm seinen Kurs wieder auf. Ein weiterer Vorort, dann wieder Felder, schließlich die ersten größeren Häuser, wuchtige graue Betonklötze.
Das Krankenhaus lag in den Außenbezirken der Stadt, sodass sie überhaupt nicht bis ins Zentrum mussten. Beinahe war Elena ein bisschen enttäuscht. Sie wäre gerne ein bisschen durch die Fußgängerzone geschlendert und hätte sich Schaufenster angesehen, wenn sie schon einmal die Schule schwänzte und in die Stadt fuhr. Unsinn, wir haben hier Wichtigeres zu tun,wies sie sich in Gedanken zurecht. Trotzdem ging ihr die Vorstellung nicht aus dem Kopf. Vielleicht könnte sie auch am Bahnhof aussteigen und sich eine Fahrkarte irgendwohin kaufen. Sie musste lächeln.
Vivienne boxte sie in die Seite. »Penn nicht ein, wir sind da.«
Elena schreckte hoch. Der Bus hatte vor einem hässlichen grauen Gebäude angehalten, das zu allem Überfluss mit großen braunen Kreisen bemalt war. Ein öder, ausgetrockneter Rasen erstreckte sich von der Bushaltestelle bis zu der Eingangstür, durchschnitten von einem exakt geraden Kiesweg.
»Reizend«, murmelte Elena, während sie hinter Vivienne aus dem Bus kletterte. »Wie soll man denn in so einem Bau gesund werden? Der sieht ja aus wie unsere Schule.«
Vivienne zuckte mit den Schultern.
Entschlossen marschierte Elena auf die Theke zu.
»Entschuldigung, wir suchen Mark Lehmann, können Sie mir sagen, wo er liegt?« Die Frau hinter der Theke sah nur mäßig interessiert auf, dann tippte sie etwas in ihren Computer.
»Gebäude C, Gang 5, Zimmer 538«, leierte sie dann herunter. »Dort hinter, dann den blauen Fahrstuhl nehmen und in den dritten Stock hoch.« Sie deutete auf einen düster aussehenden Gang in dem gleichen unvorteilhaften Braun wie der Außenanstrich. Gegen das Krankenhaus ist es bei mir zu Hause richtiggehend heiter,dachte Elena, bedankte sich aber artig und zog Vivienne in die angegebene Richtung.
Weiter innen erwies sich das Krankenhaus allerdings als nicht mehr ganz so trübselig. Der Gang, in dem Marks Zimmer lag, wurde an einer Seite von hohen Glasfenstern gesäumt, die auf einen kleinen Park hinaussahen. An den hellgelb gestrichenen Wänden hingen Kunstdrucke. Nur der anhaltende Krankheitsgeruch störte den friedlichen Eindruck ein wenig.
Vor der Zimmertür blieb Elena stehen. Nervös sah sie sich um. Ganz plötzlich hatte ihre vorherige Entschlossenheit sie verlassen.
»Mach schon!«, flüsterte Vivienne hinter ihr.
»Und was soll ich ihm sagen, warum wir hier sind?« Auch Elena sprach leise, ohne eigentlich zu wissen, warum.
»Um die Wahrheit zu erfahren, natürlich. Was wolltest du ihm sagen, dass du dich unsterblich in ihn verknallt hast?« Vivienne kicherte nervös.
Elena schubste sie unwillig. »Sei nicht blöd!« Zögernd griff sie nach der Klinke und wollte sie herunterdrücken, als sich feste, eilige Schritte auf dem Gang näherten. Als Elena aufsah, erkannte sie eine Schwester, die den Gang herunterkam und mit einem überraschten Gesichtsausdruck bei ihnen stehen blieb.
»Was macht ihr denn hier?«, fragte sie. »Jetzt ist keine Besuchszeit. Die Patienten bekommen bald ihre Medikamente.«
Vivienne setzte ihr freundlichstes Lächeln auf und ließ sich eine ihrer blonden Locken in die Stirn fallen. Wenn sie wollte, konnte sie aussehen wie ein kleiner Rauschgoldengel. »Ach, bitte, wir sind Freundinnen von Mark, wir wollten nach ihm sehen.«
Doch ihr Hundeblick wirkte bei der Schwester nicht. Energisch schüttelte sie den Kopf. »Ihr beide solltet bestimmt in der
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